Patientengespräch Schmerzen

Schmerzen Aus einem ausführlichen Patientengespräch lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die Ursache des Schmerzes und Hinweise auf eine mögliche Therapie finden. Dabei sind nicht nur die Beschwerden für den Mediziner von Interesse, sondern auch der Lebensstil und das soziale Umfeld dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Die Fragen umfassen die drei folgenden Bereiche:

1. Medizinische Vorerkrankungen (allgemeine medizinische Anamnese)

Hier wird nach begleitenden oder allgemeinen Grundkrankheiten gefragt, die mit dem chronischen Schmerzsyndrom in Zusammenhang stehen könnten. Von Bedeutung sind Erkrankungen der Nieren, der Leber, des Herzens oder der Gefäße. Sie können Auswirkungen auf die Schmerzsymptomatik haben und sind daher bedeutend.

2. Fragen zum sozialen Umfeld und dem Lebensstil (Sozialanamnese)

Bei der Sozialanamnese stehen vor allem die berufliche Tätigkeit und die dort speziell auftretenden Belastungen im Vordergrund. Wichtig ist auch der Lebensstil mit den Aspekten: Ernährung, Schlafgewohnheiten und soziales Umfeld.

3. Spezielle Schmerzanamnese

Mit Hilfe von „W-Fragen“ kann viel über die Ursachen der Schmerzen herausgefunden werden. Je genauer ein Patient die Fragen beantworten kann, desto effektiver und zielorientierter kann der behandelnde Mediziner die notwendigen Schritte der Schmerztherapie einleiten. Nützlich kann es sein, sich bereits zu Hause die W-Fragen zu beantworten und sich Notizen dazu zu machen. Manche Schmerzambulanzen und auf Schmerzentherapie spezialisierte Praxen haben dazu bereits vorgefertigte Fragebögen, die sogar im Internet abgerufen werden können.

3.1. „Wo tut es weh?“ – Schmerzlokalisation

Hier wird gefragt, welche Stelle am meisten schmerzt, ob der Schmerz ausstrahlt und wenn ja, wieweit die Schmerzen reichen. Wichtig ist dabei auch, ob der Schmerz sich oberflächlich bemerkbar macht oder von einer tieferen Struktur, wie einem Muskel oder einem Gelenk, ausgeht. Manchmal ist es hilfreich, sich eine Skizze anzufertigen.

Allein auf Grund der Schmerzlokalisation sind beispielsweise folgende Rückschlüsse auf die Schmerzursache möglich:

  • Neuralgien, also Schmerzen, die von geschädigten Nerven selbst ausgehen, können meist sehr exakt lokalisiert werden.
  • Liegt ein so genannte Wurzelkompressionssyndrom vor, das heißt, eine Nervenwurzel – meist im Bereich der Lendenwirbel – wurde durch Bandscheibengewebe gequetscht oder gedrückt, so strahlt der Schmerz in das Gesäß und das Bein aus.
  • Werden Schmerzen in einer Körperhälfte (Halbseitenschmerz) empfunden, so spricht das für einen so genannten zentralen Thalamusschmerz. Gemeint ist damit, dass der Entstehungsort im zentralen Nervensystem liegt, also im Gehirn oder Rückenmark. Der genaue Entstehungsort ist hier ein spezielles Gehirnareal – der Thalamus.
  • Treten die Schmerzen an unterschiedlich wechselnden Orten auf, so kann dies auf die Infektionskrankheit Borreliose, funktionelle Schmerzzustände, also beispielsweise Kopf– und Gesichtsschmerzen, oder auf Depressionen hindeuten.
  • Schmerzen, die an mehreren Orten gleichzeitig auftreten (Multilokalisation), sind charakteristisch für eine Chronifizierung (siehe dazu auch Chronifizierung der Schmerzen).

3.2. „Wie tut es weh?“ – Schmerzqualität

Um Schmerzen zu beschreiben bedient man sich spezieller Adjektive. So können Schmerzen als scharf, dumpf, hell, stechend, einschießend, brennend, pochend, krampfartig, schwer, leicht und wellenförmig beschrieben werden. Eine typische Beschreibung für neuralgische, also direkt von den Nervenstrukturen ausgehende Schmerzen, ist unerträglich, einschießend oder stechend. Migränepatienten sprechen häufig von einem pochend-pulsierenden Schmerz. Ein brennender quälender Dauerschmerz ist charakteristisch für den so genannten Deafferenzierungsschmerz, dem eine Durchtrennung peripherer Nerven oder Nervenwurzeln zu Grunde liegt (siehe auch Schmerzarten). Kribbelnde Schmerzen oder der Begriff „Ameisenlaufen“ werden bei Polyneuropathien (= Erkrankung mehrerer Nerven) angegeben.

3.3. „Wann tut es weh?“ – Schmerzdauer und Schmerzverlauf

Schmerzen können nachts oder tagsüber auftreten, kommen und gehen, aber auch anhalten. Wichtig ist es auch zu wissen, wann der Schmerz das erste Mal aufgetreten ist (notieren!). So dauert der Schmerz bei den typischen Neuralgien nur wenige Sekundenbruchteile. Eine chronische Schädigung von Nervenstrukturen führt zu einem Dauerschmerz. Beruht der Schmerz auf entzündlichen Prozessen, so ist er häufig nachts weniger intensiv als tagsüber. Ein von längeren oder kürzeren Intervallen unterbrochener Schmerz ist charakteristisch für die Migräne oder den Cluster-Kopfschmerz. Beim Schmerzverlauf ist zunächst die Frage wichtig, ob die Schmerzen plötzlich auftraten oder allmählich begonnen haben. Plötzlich einsetzende, heftige Schmerzen können das Kennzeichen einer Neuralgie oder einer Wurzelkompression sein. Rückenschmerzen entwickeln sich häufig erst allmählich und werden in Schüben schlimmer. Neurogene Schmerzen und Schmerzen im Rahmen von Tumorerkrankungen werden im Laufe der Zeit immer schlimmer. Wichtig ist es, allmähliche oder plötzliche Veränderungen der Schmerzqualität und -lokalisation im Verlauf der Erkrankung dem behandelnden Arzt mitzuteilen!

3.4. „Wie stark tut es weh?“ – Schmerzintensität

Aussagekraft haben bereits einfache Beschreibungen, wie schwach, mittel und stark. Jedoch werden Schmerzen individuell unterschiedlich empfunden und sind nicht objektiv messbar. Hilfreich kann hier auch der Vergleich zu bekannten Schmerzen sein. Die Beurteilung der Schmerzintensität ist wichtig, um die die richtige Dosierung beim Aufstellen der Schmerztherapie zu gewährleisten. Um die Schmerzintensität genauer zu beschreiben, bedient man sich so genannter Schmerzskalen. Mit ihnen können Aussagen zum einen über die Intensität des Schmerzes und zum anderen über die Umstände (Genuss bestimmter Nahrungsmittel, Tageszeit, emotionale Aspekte) getroffen werden, unter denen ein Schmerz wahrgenommen wird.

Beispiele für Schmerzskalen sind die visuelle Analogskala (VAS) und die numerische Analogskala (NAS). Die Unterteilung der VAS-Schmerzskala geschieht auf folgende Weise:

  • Stufe 1 und 2: kein oder kaum Schmerz;
  • Stufe 3 und 4: mäßiger Schmerz, der bei Ablenkung nicht wahrgenommen wird;
  • Stufen 5 und 6: mittelstarke Schmerzen, die das Gehen und Einschlafen behindern;
  • Stufen 7 und 8: starker Schmerz, der das Bedürfnis weckt, sich hinzulegen. Hilflosigkeit kommt auf, das Denken und Sprechen kreist hauptsächlich um den Schmerz;
  • Stufen 9 und 10: Der Patient möchte am liebsten schreien, ist möglicherweise depressiv und sieht keinen Sinn mehr im Leben.

Die Schmerzskalen haben nicht nur einen diagnostischen Zweck, sondern ermöglichen auch eine Verlaufskontrolle der Therapie und deren optimale Abstimmung.

3.5. „Wodurch ändern sich Schmerzen?“ – Schmerzbeeinflussung

Die Frage zielt auf eine eventuelle Beeinflussbarkeit der Schmerzen ab. Werden die Schmerzen schwächer oder stärker bei: Ruhe oder Bewegung, Kälte oder Wärme, körperlicher Belastung, Änderung der Körperlage oder bei Empfindungen, wie Trauer, Ärger und Stress. So wird ein rheumakranker Patient gelegentlich eine Schmerzlinderung durch mäßige Muskelbetätigung erfahren, ein Patient mit Hexenschuss oder Bandscheibenvorfall nimmt eine typische Schonhaltung ein, Menschen mit einer Trigeminusneuralgie vermeiden tunlichst jede Berührung und jeden Luftzug im Gesichtsbereich. An diesem Punkt sollte auch über bereits erfolgte Schmerztherapien gesprochen werden. Vielleicht erfolgte bei eigentlich wirksamen Therapieverfahren eine Unterdosierung oder bestimmte Verfahren wird man von vornherein ausschließen können. Zur Sprache kommen sollten an dieser Stelle auch Außenseitermethoden, die der Patient ausprobiert hat, oder die Selbstmedikation mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln.

3.6. „Welche weiteren Beeinträchtigungen gibt es?“ – Begleitsymptome

Symptome, die den Schmerz begleiten oder auf Grund der Schmerztherapie zu Tage treten, können vielfältig sein. Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Schluckbeschwerden und Atembeeinträchtigungen sollten bei der Medikation am besten gleich mitberücksichtigt werden. Die Begleitsymptome geben aber häufig auch über die Ursache des Schmerzes Aufschluss. So kommt es bei Migräne häufig zu Übelkeit und Erbrechen, der Betroffene ist licht- und lärmempfindlich. Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen weisen als typische Begleitsymptome ein hängendes Lid (Ptose), Tränenfluss (Lakrimation), eine laufende oder verstopfte Nase und ein gerötetes Auge auf. Bei Polyneuropathien finden sich eine Minderung des Vibrationsempfindens und der Oberflächensensibilität. Abzuklären gilt es auch, inwieweit die Begleitsymptome belastungs-, schmerz- und medikamentenabhängig sind.

3.7. Verhalten beim Schmerz

Auch die Verhaltensmuster während der Schmerzattacken oder bei länger anhaltenden Schmerzen sind charakteristisch für Art und Ursache des Schmerzes. So ziehen sich Migränepatienten während ihrer Migräneattacken am liebsten in einen abgedunkelten, ruhigen Raum zurück. Patienten, die unter Cluster-Kopfschmerzen leiden, gehen auf und ab. Rückenschmerzen führen zu körperlicher Schonung und Fehlhaltungen. Schmerzen, die im Rahmen einer Arthrose auftreten, führen zur Immobilität.

3.8. Fremdanamnese

Es kann auch hilfreich sein, engste Vertraute (Lebenspartner, enge Verwandte, vorbehandelnde Mediziner) zusätzlich zur Krankengeschichte des Patienten (= Fremdanamnese) zu befragen. Es können Informationen über Erfolge oder Misserfolge der bisherigen Therapie eingeholt werden, weitere wichtige Informationen über Störungen persönlicher Beziehungen oder das soziale Umfeld lassen sich erfragen

4. Krankheitskonzept

Alle diagnostischen Verfahren führen zu einem Therapiekonzept. Dabei ist es wichtig, dass der behandelnde Arzt ein realistisches Therapieziel vermittelt. So ist völlige Schmerzfreiheit ohne entsprechende Medikation, die vielleicht zu Nebenwirkungen führt, kein realistisches Behandlungsziel. Die Einstellung der Schmerztherapie erfordert oft viel Zeit und Geduld, sowohl vom Patienten als auch vom Arzt. Ein gutes Vertrauensverhältnis ist unbedingt erforderlich. Vor allem bei chronischen Schmerzerkrankungen müssen alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ausgeschöpft werden. Eine aktive Mitarbeit des Patienten ist notwendig.

Erfolgreiches Arzt-Patientengespräch
Ein ausfürhrliches Arzt-Patienten-Gespräch hilft Nervenschmerzen richtig zu erkennen
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