Niereninsuffizienz, chronische (engl: renal failure)

         

Niereninsuffizienz, chronische (engl: renal failure) Als Niereninsuffizienz wird die eingeschränkte Fähigkeit der Nieren bezeichnet, harnpflichtige Substanzen auszuscheiden. Diese Stoffe können vom Körper nicht mehr weiter verstoffwechselt werden und müssen über die Nieren und den Harn ausgeschieden werden. Dazu zählen beispielsweise Harnstoff, das Stoffwechselendprodukt der Eiweiße, Harnsäure, das Abbauendprodukt des Purinstoffwechsels und Kreatinin, das aus Kreatin, einem Energiespeicher der Muskeln entsteht. Zudem regulieren die Nieren über weitere Ausscheidungsprodukte den Elektrolyt-, Wasser-, und Säure-Basen-Haushalt. Ist die Filterfunktion der Nieren irreversibel geschädigt und schreitet die Abnahme der Nierenfunktion über Monate und Jahre langsam voran, so spricht man von einer chronischen Niereninsuffizienz (Ô akute Niereninsuffizienz). Schätzungen zufolge kommt es jährlich zu sechs bis sieben Neuerkrankungen auf 100 000 Einwohner, die das letzte Stadium der Erkrankung (= terminale Niereninsuffizienz) erreichen. Exakte Zahlen sind schwer zu erheben, da das Anfangsstadium der chronischen Niereninsuffizienz meist symptomlos verläuft und daher nicht gleich diagnostiziert wird.

Ursachen

Viele unterschiedliche Krankheiten können die Nieren irreversibel schädigen. Dazu zählen:

  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit): 30 bis 40 % aller Menschen, die sich erstmalig einer Dialyse (Blutwäsche) aufgrund einer chronischen Niereninsuffizienz unterziehen müssen, sind Diabetiker. Bei der Erkrankung werden die kleinsten Filtrationseinheiten der Niere – die sogenannten Nephrone -geschädigt, genauer gesagt, die Basalmembran der haarfeinen Blutgefäße des Nephrons werden „verzuckert“.
  • Bluthochdruck: Auch hier werden die kleinsten Äderchen der Nieren geschädigt, die ein Teil des Filtersystems der Nieren darstellen.
  • Verlegte Harnwege: Hierzu zählen beispielsweise Harnröhrenverengungen durch Prostatavergrößerung, Tumoren oder Steine in den ableitenden Harnwegen (Harnleiter, Blase, Harnröhre).
  • Glomerulonephritis: Dabei handelt es sich um entzündliche Vorgänge an den Filterzellen der Nierenkörperchen (= Glomeruli), die meist nicht durch Krankheitskeime verursacht werden, sondern autoimmun vermittelt werden. Der Körper selbst greift die Nieren an. Diese seltene Erkrankung ist für ungefähr 10 % aller chronischen Niereninsuffizienzen verantwortlich.
  • Andere entzündliche Nierenerkrankungen: Dazu zählen die chronische Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis) und eine spezielle Form der Nierenentzündung die so genannte akute interstitielle Nephritis, bei der vornehmlich das Bindegewebe der Niere in Mitleidenschaft gezogen ist.
  • erbliche Nierenerkrankungen: Hierzu zählen beispielsweise Zystennieren.

Symptome

Die Symptome bei einer chronischen Niereninsuffizienz entwickeln sich oft erst schleichend und die meisten Patienten sind anfänglich beschwerdefrei. Einige Patienten klagen jedoch über eine nächtliche vermehrte Urinausscheidung (= Nykturie, Polyurie). Die Nieren können aus dem Urin nicht genügend Wasser aufnehmen, um ihn zu konzentrieren.

Auch der erhöhte Blutdruck (= Hypertonie) kann auf eine Schädigung des Nierengewebes und eine chronische Niereninsuffizienz hinweisen. Je mehr sich die harnpflichtigen Substanzen im Blut anreichern, desto erschöpfter fühlt sich der Betroffene. Leistungsschwäche und geistige Trägheit werden durch die Übersäuerung des Blutes (Azidose!) noch verstärkt.

Appetitlosigkeit sowie Übelkeit und Erbrechen sind die Frühsymptome, die vonseiten des Magen-Darm-Traktes auftreten. Sie deuten jedoch auf eine weiter fortgeschrittene Niereninsuffizienz hin. Die Folge der Symptome sind Unterernährung und Gewichtsverlust. Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz haben auch oft Darmgeschwüre.

Die Erschöpfung und allgemeine Schwäche wird teilweise auch durch einen Rückgang der Produktion an roten Blutkörperchen und der daraus resultierenden Blutarmut (= Anämie) bedingt. Verantwortlich ist die verminderte Bildung von Erythropoetin, einem in der Niere erzeugten Hormon, das die Bildung der roten Blutkörperchen anregt. Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz neigen auch leicht zu blauen Flecken und langanhaltenden Blutungen nach Verletzungen. Die Infektionsabwehr des Körpers ist verringert.

Durch die Ansammlung von schädlichen Substanzen im Blut kommt es auch zu Symptomen, die von den Nerven oder Muskeln ausgehen. Dazu zählen Muskelzuckungen, -schwäche und -krämpfe. Schmerzen und Empfindungsstörungen in den Gliedmaßen (bsp. Gefühllosigkeit, Brennen, Stechen) deuten auf eine entzündliche Erkrankung der Nerven hin (= Polyneuropathie). Die Konzentrationserhöhung der harnpflichtigen Substanzen im Blut kann sich auch auf das Gehirn auswirken. Verwirrtheit, Teilnahmslosigkeit und Krampfanfälle sind Symptome einer Gehirnstörung (= Enzephalopathie).

Weitere Begleitsymptome der fortgeschrittenen Erkrankung sind ein unangenehmer Juckreiz am ganzen Körper sowie Herzbeutel- oder Brustfellentzündungen (Stadium der Harnvergiftung). Diese entzündlichen Vorgänge sind auf eine Erhöhung der Stoffwechselabfallprodukte im Blut zurückzuführen. Krankheitszeichen einer Herzschwäche, wie Atemnot resultieren daraus, dass die Nieren schließlich nicht mehr überschüssige Salze oder Wasser ausscheiden können. Flüssigkeitsansammlungen (= Ödeme) finden sich schließlich im ganzen Körper.

Im Endstadium der Insuffizienz ist ein urämischer Mundgeruch (Foetor uraemicus -> Harngeruch) auffällig. Typisch ist auch eine schmutzig-braune Hautfarbe. Manchmal ist die Harnstoffkonzentration so hoch, dass die Substanz aus dem Schweiß auskristallisiert und die Haut weiß überpudert. Man spricht dann von urämischem Frost oder Reif.

Komplikationen können Störungen in Bezug auf den Erhalt oder die Bildung von Knochengewebe sein (= renale Osteodystrophie). Verantwortlich dafür sind mehrere Faktoren: Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels, Schilddrüsenüberfunktion, hohe Phosphatkonzentration im Blut und eine gestörte Kalziumaufnahme. Die Folge können Knochenschmerzen oder ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche sein.

Zusammenfassung typischer Symptome der chronischen Niereninsuffizienz

Folgende Symptome sind charakteristisch für die Erkrankung:

  • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
  • Fahlgraue Hautfarbe und starker Juckreiz der Haut
  • Bluthochdruck (Hypertonie)
  • (metabolische) Azidose (stoffwechselbedingte Störung des Säure-Basen-Gleichgewichts)
  • Blutarmut aufgrund der Nierenschwäche (= renale Anämie)
  • Beschwerden im Magen-Darm-Trakt, die durch eine Harnvergiftung hervorgerufen werden, wie Übelkeit und Erbrechen
  • (urämische) Herzbeutel- und Brustfellentzündung
  • Gerinnungsstörungen
  • Knochenerkrankungen
  • Muskelzucken und Muskelkrämpfe
  • Beeinträchtigungen der Nerven (Schmerzen, Sensibilitätsstörungen)
  • Bewusstseinseintrübung bis hin zum Koma
  • Sehr hohe Kalium- und Phosphatspiegel im Blut (Hyperkaliämie und Hyperphosphatämie).

Stadien der Niereninsuffizienz

Bei der chronischen Niereninsuffizienz unterscheidet man vier Stadien, die fließend ineinander übergehen. Je nach Art der Nierenerkrankung werden sie in Monaten oder Jahren durchlaufen. Stadium I oder eingeschränkte Niereninsuffizienz (auch kompensiertes Stadium): Die Filterleistung der Nieren (= glomeruläre Filtrationsrate) ist beeinträchtigt. Der Kreatininspiegel im Blut, ein weiterer Marker zur Beurteilung der Nierenfunktion, ist noch nicht erhöht. Symptome fehlen meist. Stadium II oder leichte Niereninsuffizienz (auch kompensierte Retention): Der Kreatininspiegel ist erhöht (1,5 – 4 mg/dl). Es treten keine Beschwerden oder eine Anämie auf. Stadium III oder schwere Niereninsuffizienz (auch präterminale Niereninsuffizienz): Der Kreatininspiegel ist deutlich erhöht (4 – 7 mg/dl) und es treten typische Beschwerden auf: Leistungsknick, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Juckreiz, Krämpfe sowie Missempfindungen und Sensibilitätsstörungen und Potenzprobleme. Stadium IV oder terminale Niereninsuffizienz, Urämie (Harnvergiftung): Merkmale sind eine Übersäuerung des Blutes (dekompensierte metabolische Azidose) und ein hoher Kreatininwert (> 7 mg/dl). Typische Beschwerden in diesem Stadium sind Atembeschwerden, sinkender Blutdruck, Brustfell- und Herzbeutelentzündungen oder eine starke Ödembildung im ganzen Köper sowie Schock. Eine Dialyse (Blutwäsche) muss durchgeführt werden.

Diagnose

Ein Verdacht auf die Diagnose ergibt sich aus vorhandenen Risikofaktoren, wie beispielsweise einem Diabetes mellitus oder einer Glomerulonephritis und den vom Patienten geschilderten Symptomen. Zudem deutet ein erhöhter Kreatininwert im Blut eindeutig auf die Erkrankung hin. Dieser Wert wird bei vielen Routineuntersuchungen ermittelt. Er lässt auch Schlüsse darüber zu, in welchem Stadium der Niereninsuffizienz sich der Patient befindet. Die genaue Diagnose geschieht anhand von Blut- und Urinuntersuchungen. Aus den ermittelten Nierenparametern lässt sich die Nierenclearance berechnen, die Aussagen über die Funktion der Nieren zulässt. Bildgebende Verfahren, die zum Einsatz kommen, sind der Ultraschall, das CT und ev. Röntgenkontrastmitteluntersuchungen. Sie dienen auch dazu, den Verlauf der Erkrankung zu kontrollieren. Um auf die genaue Art der Nierenerkrankung zu schließen, kann es nötig sein Nierengewebe zu entnehmen und mikroskopisch zu untersuchen (= Nierenbiopsie).

Behandlung

Die Therapie der Niereninsuffizienz hat drei Ziele:

  • Behandlung der auslösenden Erkrankung: Besonderes Augenmerk liegt hier in der optimalen Einstellung des Diabetes und in der Behandlung des Bluthochdrucks. Infektionen werden sofort mit Antibiotika behandelt, Harnabflussstörungen beseitigt.
  • Verlangsamung des Fortschreitens der Erkrankung: Dazu gibt man beispielsweise Diuretika, also Medikamente, welche die Ausscheidung über die Nieren erhöhen (bsp. Stadium II).
  • Behandlung der auftretenden Symptome und Komplikationen: Mit bestimmten Medikamenten kann beispielsweise der Knochenschwächung und der Blutarmut vorgebeugt werden.

Folgende Aspekte sind bei der Behandlung u.a. zu beachten:

  • Bluthochdruck: Die Hypertonie kann sowohl die Ursache als auch die Folge einer chronischen Niereninsuffizienz sein. Die Blutdruckeinstellung ist zudem wichtig, da Patienten mit hohem Blutdruck bereits im Anfangsstadium der Niereninsuffizienz ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Der Blutdruck sollte mindestens auf 135/85 mmHg eingestellt werden. Medikamente, die dazu verordnet werden, sind beispielsweise ACE-Hemmer, Betablocker, AT-1-Blocker und Kalziumantagonisten.
  • Blutfettwerte: Ihre Senkung kann u.a. medikamentös erfolgen.
  • Ernährung: Erst in einem weiter fortgeschrittenen Erkrankungsstadium wird eine eiweißarme Diät empfohlen, um die Dialysepflicht hinauszuzögern.
  • Flüssigkeit und Kochsalz: Die Aufnahme der Substanzen richtet sich nach dem jeweiligen Patienten. So ist bei Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe und einer Hypertonie (= Bluthochdruck) eine salzarme Diät zu empfehlen. Leiden die Patienten jedoch unter Flüssigkeitsmangel, so kann der Entzug dieser beiden Substanzen zu einer Verschlechterung des Zustandes führen. Sind die beiden Parameter im Gleichgewicht, ist eine Flüssigkeitszufuhr von 2,5 Litern täglich zu empfehlen.
  • Erhöhter Kaliumspiegel: Kaliumreiche Lebensmittel (Bananen!) sollten gemieden werden. Zudem können auch bestimmte Diuretika verordnet werden. Mit der Gabe von Natriumhydrogenkarbonat (Kapseln) wird einer Übersäuerung des Blutes vorgebeugt.
  • Blutarmut (renale Anämie): Das zu wenig gebildete Hormon Erythropoetin, das von den Nieren gebildet wird und die Reifung der roten Blutkörperchen anregt, kann dem Patienten künstlich verabreicht werden. Bisweilen erhält er auch noch zusätzlich Eisen.
  • Knochenprobleme: Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz haben bisweilen verschiedene Störungen des Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels. Eine ausreichende Kalziumversorgung und/oder die Gabe von Kalziumsalzen und Vitamin D ist daher wichtig.
  • Dialyse: Die Blutwäsche wird ab einem Kreatininwert von 10 mg/dl nötig. Voraussetzung für diese Behandlungsmethode sind aber auch bestimmte Symptome, wie Herzschwäche, Herzbeutelentzündungen, gestörte Gehirnfunktion, ein sehr hoher Kaliumspiegel, eine starke therapieresistente Übersäuerung des Blutes und Ödeme im ganzen Körper. Außerdem beginnt man sofort mit der Dialyse, wenn urämische Symptome, wie beispielsweise Übelkeit und Erbrechen oder Magersucht und Bewusstseinsstörungen auftreten. Da diese Behandlung auf Dauer sehr belastend ist, wird für geeignete Patienten eine Nierentransplantation erwogen (Warteliste!).

Prognose

Die Prognose richtet sich im verstärkten Maße nach der zugrunde liegenden Erkrankung. Beispielsweise verlangsamt eine gute Blutzuckereinstellung und das Senken des Blutdrucks bei Diabetikern eine Verschlechterung der Nierenfunktion. In die Prognose fließt auch das Eintreten von Komplikationen und Begleiterkrankungen ein. Arteriosklerose, Übergewicht, Bluthochdruck und Blutarmut erhöhen das Risiko für schwere, bisweilen lebenslimitierende Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wichtig ist zudem eine optimale Dialysebehandlung.

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 20.04.2008