Leistungen bei erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf

(auch: zusätzliche Betreuungsleistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a, b SGB XI))

Was ist mit dieser Leistung gemeint?

Betroffen sind Pflegebedürftige, die einen erhöhten Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung benötigen. Die Betroffenen haben auch einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Meist sind es Pflegebedürftige der Pflegestufe I, II und III; bei einigen Personen kann jedoch ein erheblicher allgemeiner Betreuungsbedarf bestehen, aber der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung hat noch nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht. Für diese Konstellation hat sich auch der Begriff „Pflegestufe 0“ eingebürgert.

Welcher Personenkreis ist meist betroffen?

Es handelt sich um Pflegebedürftige mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen.

Wer beurteilt diesen erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarf?

In der Regel stellt der Medizinische Dienst der Krankenkassen (bei Pflegestufe 0 ist auch eine andere Begutachtung möglich) diesen Bedarf bei der Prüfung des Antrags auf eine Pflegestufe fest. Dabei müssen sich als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens feststellen lassen, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben.

Wie läuft die Begutachtung ab?

Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) gliedert sich in zwei Schritte, nämlich Screening und Assessment.

1. Screening

Screening bedeutet „Aussieben“ oder „Rasterung“. Es stellt eine Art Vorprüfung dar. Der MDK sucht dabei nach Auffälligkeiten in folgenden Bereichen:

  • Orientierung
  • Antrieb bzw. Beschäftigung
  • Stimmung
  • Gedächtnis
  • Tag-Nacht-Rhythmus
  • Wahrnehmung und Denken
  • Kommunikation/Sprache
  • Situatives Anpassen
  • Soziale Bereiche des Lebens wahrnehmen.

Stellt der Gutachter beim Screening mindestens eine Auffälligkeit fest, deren Ursache eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, eine geistige Behinderung oder eine psychische Erkrankung ist, und die regelmäßig und dauerhaft (mindestens 6 Monate) zu einem Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf führen, so erfolgt der 2. Schritt – das Assessment.

2. Assessment (Einschätzung, Beurteilung, Abwägung)

Dazu ist gesetzlich in § 45 a SGB XI genau eine Liste von 13 Schädigungen und Funktionsstörungen – sogenannte Items – festgelegt, die beurteilt werden. Dies sind im Einzelnen die Bereiche:

  • unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz);
  • Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen;
  • unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen;
  • tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation;
  • im situativen Kontext inadäquates Verhalten;
  • Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen;
  • Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung;
  • Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben;
  • Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus;
  • Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren;
  • Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen;
  • ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten;
  • zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression.

Für jeden dieser Punkte oder Items muss der Gutachter eruieren, ob:

  • ein Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf (unabhängig von der Zeitdauer),
  • auf Dauer (für mindestens 6 Monate) und
  • regelmäßig besteht. Grundsätzlich gilt hier täglich, auch wenn bsp. die Art der Betreuung unterschiedlich ist.

Wichtig! Bis zum 01.07.2008 führten die MDK-Gutachter kein Screening oder Assessment durch, wenn klar war, dass keine Pflegestufe vorlag. Seit dem 01.07.2008 muss diese Beurteilung durch den MDK-Gutachter auch ohne Pflegestufe erfolgen.

Dies ist wichtig für diejenigen, deren Pflegestufenanträge abgelehnt wurden, die aber nach der Pflegereform doch Betreuungsleistungen unabhängig von der Pflegestufe beanspruchen können (Pflegestufe 0). In einem solchen Fall ist ein neuer Antrag auf Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz sinnvoll.

Wie wird der erhebliche allgemeine Betreuungsbedarf abschließend beurteilt?

Es werden zwei Kategorien unterschieden. Nach ihnen richtet sich die finanzielle Höhe der Leistung.

Wann erhält der Pflegebedürftige den sogenannten Grundbetrag?

Die Alltagskompetenz des Pflegebedürftigen ist eingeschränkt, wenn der Gutachter des MDK Folgendes feststellt:

  • wenigstens bei zwei Punkten (Items),
  • davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9,
  • resultiert eine dauerhafte und regelmäßige Schädigung oder Funktionsstörung.

Was berechtigt zum Leistungsbezug des sogenannten erhöhten Betrages?

Die Alltagskompetenz des Pflegebedürftigen ist in erhöhtem Maße eingeschränkt,

  • wenn eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz vorhanden ist und
  • zudem bei mindestens einem weiteren Punkt (Item) aus den Bereichen 1,2,3,4,5,9 und 11 eine Störung festgestellt wird.

Wer beurteilt, seit wann die Fähigkeitsstörungen vorliegen?

Auch dies hat der Gutachter abzuschätzen.

Wie hoch sind die ergänzenden Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf?

Der Grundbetrag beläuft sich monatlich auf bis zu 100 Euro, also maximal 1.200 Euro im Jahr. Der erhöhte Betrag beläuft sich auf 200 Euro monatlich, also maximal 2.400 Euro im Jahr.

Wie kann man die ergänzenden Leistungen einsetzen?

Die Anspruchsberechtigten können sich mit den Leistungen Betreuungsleistungen einkaufen. Dies erfolgt auf Basis der Kostenerstattung. In der Praxis bekommt der Pflegebedürftige vom Anbieter eine Rechnung über die Leistung, die er selbst begleichen muss. Die Quittung oder Rechnung des Dienstleisters wird dann bei der Pflegekasse eingereicht, welche die Kosten im genehmigten Rahmen zurückerstattet. Der Pflegebedürftige kann auch seinen Pflegeanspruch gegen die Pflegekasse an den jeweiligen Dienstleister abtreten, sodass diese die Leistungen direkt mit der Pflegekasse abrechnen kann.

Wer kann die Betreuungsleistungen erbringen?

Anerkannt werden die Betreuungsleistungen von anerkannten Pflegeeinrichtungen. Dies kann ein ambulanter Pflegedienst zu Hause sein oder die Betreuung in einer Tages-, Nacht- oder Kurzzeitpflegeeinrichtung.

Wofür wird diese Leistung gewährt?

Die Leistungen sollen gezielt für Betreuungs- und Beaufsichtigungsleistungen genutzt werden. Ambulante Dienste bieten dazu beispielsweise Einzelbetreuungen an oder haben auch Kleingruppenangebote.

Das Geld kann nicht dazu verwendet werden, um die Grundpflege oder Hauswirtschaftsleistungen zu entlöhnen. Auch die Auszahlung des Betrags ohne Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen ist nicht möglich.

Zudem können Privatpersonen (Angehörige, Nachbarn) nicht mit diesem Geld bezahlt werden, wenn sie die Betreuungs- und Beaufsichtigungsleistungen erbringen.

Was passiert, wenn der Leistungsanspruch in einem Monat nicht voll ausgeschöpft wird?

Wenn die Leistungsansprüche im anfallenden Jahr nicht voll ausgeschöpft werden, dann können sie auf das erste Halbjahr des Folgejahres übertragen werden. Zusätzlich zu den monatlichen Beträgen können damit dann weitere Leistungen abgerechnet werden.

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 09.05.2011