Aspekte des Schmerzes

Mediziner definieren Schmerz als ein unangenehmes, heftiges Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlichen oder möglichen Gewebeschäden verbunden ist. Schmerz ist letztlich das, was der Patient als Schmerz empfindet und beschreibt. Schmerzempfinden ist für jeden Menschen so elementar wie Essen und Trinken.

In Deutschland sind Schmerzen eine Volkskrankheit. So leiden circa 11 Millionen Erwachsene in Deutschland an chronischen Schmerzen. Jeder Fünfte leidet bereits seit mehr als 20 Jahren und circa 1,5 Millionen haben wegen ihrer Schmerzen die Arbeit verloren. 1,8 Millionen Menschen empfinden die Schmerzen so stark, dass sie nicht mehr leben möchten (Zahlen 2004). Circa 2000 Menschen pro Jahr sehen keinen Ausweg mehr aus ihrem Leiden und nehmen sich das Leben, wobei die Dunkelziffer erheblich höher angesetzt wird (Schätzungen des Bundesverbandes Deutscher Schmerzhilfe). Im Durchschnitt dauert es in Deutschland acht Jahre, bis ein chronischer Schmerzpatient die richtige Behandlung bekommt.

Heutzutage müsste niemand mehr an unerträglichen Schmerzen leiden. Es existieren längst bewährte Therapiekonzepte und immer wieder aktualisierte Leitlinien für die Behandlung von chronischen Schmerzen. Jedoch werden immer noch zu wenige Schmerzspezialisten ausgebildet und bei vielen Medizinern bestehen oft Wissenslücken in der medikamentösen Schmerztherapie. Es zeichnet sich jedoch auch die Tendenz ab, dass der Schmerz immer mehr ins ärztliche Interesse rückt. Indiz dafür ist die Entstehung von Schmerzambulanzen, Schmerzzentren oder Schmerzkonferenzen, bei denen sich niedergelassene Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten treffen, um gemeinsam einen Therapieweg für einen Patienten zu finden.

Wie die statistischen Zahlen schon vermuten lassen, sind Schmerzen einer der häufigsten Gründe, deretwegen ein Arzt konsultiert wird. Bei akuten Schmerzen sind die Schmerzursachen meist eindeutig erkennbar. Die Schmerzen können beispielsweise die Folge einer Schnittwunde, einer Verbrennung oder eines Knochenbruchs sein. Eine gezielte Behandlung ist möglich und die akuten Schmerzen klingen mit der Heilung – zum Beispiel einer Verletzung – wieder ab. Chronische Schmerzen haben ihre Ursache auch oft in chronischen Leiden (bsp. Tumoren), die nicht oder nur unvollständig behandelt werden können. Manchmal ist gar keine Ursache für diese Schmerzform zu finden.

Das Phänomen des Schmerzgedächtnisses spielt bei chronischen Schmerzen auch eine große Rolle. Dabei hinderlassen andauernde Schmerzsignale im Nervensystem eine Gedächtnisspur. Dann ist es möglich, dass der Schmerz anhält, auch wenn der ursprüngliche Auslöser bereits nicht mehr vorliegt. Folgen dieser Chronifizierungsprozesse können Veränderungen im Schmerzempfinden sein. So lösen bereits geringe Reize (bsp. Berührungsreize) Schmerzen aus oder der gleiche Schmerzreiz löst nun sehr viel stärkere Schmerzen aus. Ab einer Dauer von sechs Monaten spricht man von chronischen Schmerzen. Diese Schmerzform wird heutzutage als eigenständige Erkrankung angesehen, deren Behandlung Spezialwissen erfordert.

Die häufigsten Schmerzen sind Kopfschmerzen. Die häufigste Ursache für chronische Schmerzen sind Kopfschmerzen, gefolgt von Rücken– und Gelenkschmerzen. Darauf folgen Nervenleiden oder Tumorerkrankungen. Rund ein Drittel der Krebspatienten leiden bereits im Frühstadium der Erkrankung an Schmerzen. Bei fortgeschrittener Erkrankung erhöht sich die Zahl der Schmerzpatienten auf 70%.

Schmerzen sind nicht nur quälende Begleiterscheinungen des Lebens, sondern haben durchaus auch eine biologisch sinnvolle Funktion. Sie können ein nützliches Warnsignal sein. Es gibt wenige Menschen, die ohne Schmerzempfinden geboren werden. Dies mag zunächst positiv erscheinen, jedoch leiden die Betroffenen in Ermangelung von Warnsignalen vor Verletzungsgefahren häufig an Knochenbrüchen, Verbrennungen oder Gelenkschädigungen. Der Schmerz dient dem Körper also als Signal dafür, dass Körpergewebe verletzt wurde, und dass der Schmerzauslöser schnellstmöglich gemieden wird. Außerdem zwingen Schmerzen zur Ruhe. Der Körper kann sich dadurch erholen und der Heilungsprozess wird begünstigt. Chronische Schmerzen sind so gesehen sinnlos, da der Auslöser bekannt ist und daher eine Warnung unnötig ist.

Die Schmerzwahrnehmung lässt sich beeinflussen. Durch starke Ablenkung mindert sich das Schmerzempfinden meistens vorübergehend. Sportler spüren ihre Verletzungen oft auch erst nach dem Wettkampf, ebenso geht es Unfallopfern, die zunächst noch den Notdienst verständigen und sich in Sicherheit bringen können, bevor sie registrieren, dass sie sich etwas gebrochen haben. Jedoch gibt es auch Empfindungen, die das Schmerzempfinden negativ verändern. So wird der Schmerz in Angstsituationen oder bei der Erwartung von Schmerzen stärker empfunden.

Die Stärke des Schmerzes sagt nichts darüber aus, ob er auf einer ernsten oder harmlosen Erkrankung beruht. Der Glaube, der empfundene Schmerz hänge nur von der Intensität des Schmerzauslösers ab, ist falsch. Für die Behandlung ist es daher wichtig, die genaue Ursache des Schmerzes zu finden.

Schmerzen sind eine komplexe Sinnesempfindung, die durch ein Zusammenspiel aus Schmerzrezeptoren, Botenstoffen und der Reizverarbeitung im Gehirn zustande kommen. Lesen Sie dazu auch das Kapitel „Entstehung der Schmerzen„.

Die Diagnose von Schmerzen stellt Therapeuten und Patienten oft vor Probleme. Schmerzen sind nicht messbar und werden von jedem Menschen unterschiedlich empfunden. Manche Menschen sind auch schmerzempfindlicher als andere. Dies hat jedoch nichts mit „Nehmerqualitäten“ oder Wehleidigkeit zu tun, sondern ist (erblich) physiologisch bedingt.

Bei der Diagnose bedient man sich einer Schmerzskala (0 = kein Schmerz, 10 = stärkster vorstellbarer Schmerz), mit der Patienten ihre Schmerzstärke angeben können. Damit lässt sich auch die Veränderung der Schmerzintensität durch eine Schmerzmedikation beurteilen. Mit Hilfe eines Schmerztagebuchs können Stärke, Dauer, Charakter des Schmerzes und der Bezug zur Schmerzmedikation so über einen längeren Zeitraum dokumentiert werden. Der Erfolg einer Schmerzmedikamention kann so besser beurteilt werden.

Die tragende Säule der Schmerztherapie sind die Schmerzmedikamente, die so genannten Analgetika. Dabei reicht die Palette der Präparate von frei verkäuflichen Mitteln, wie Acetylsalicylsäure (Aspirin) und Paracetamol, bis hin zu Morphinen und deren chemischen Abkömmlingen. Die Therapie – gerade chronischer Schmerzen – orientiert sich dabei am dreistufigen Medikationsschema der WHO (Weltgesundheitsorganisation), mit dem über 90% der Patienten ausreichend behandelt werden können. Gerade auch in der Behandlung von chronischen Schmerzen finden immer mehr alternative Behandlungsmethoden, wie beispielsweise die Akupunktur, Einzug. (siehe dazu auch das Kapitel „Therapie„).

Oberstes Ziel jeder Schmerzbehandlung ist Schmerzfreiheit oder zumindest eine deutliche Linderung. Um dieses Ziel zu erlangen, sollten alle möglichen Therapieoptionen ausgeschöpft werden, also medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsmaßnahmen. Dazu kann es beispielsweise nötig sein, mehrere Schmerzmittel in Kombination einzusetzen. Auch darf mit der Schmerzbehandlung nicht zu lange gezögert werden, um eine Chronifizierung der Schmerzen zu vermeiden.