Kinderlähmung

Kinderlähmung (Poliomyelitis)

Die Kinderlähmung ist eine ansteckende Viruserkrankung des Zentralnervensystems. Europa und Amerika gelten als poliofrei. Dies ist umfassenden Impfmaßnahmen zu verdanken. Die Kinderlähmung ist vor allem in Zentralafrika und dem indischen Subkontinent noch verbreitet. Ungeimpfte Reisende können die Infektion einschleppen. Der Name impliziert, dass nur Kinder erkranken, Erwachsene sind aber ebenso betroffen! Das Virus wird hauptsächlich fäkal-oral übertragen, also durch verunreinigtes Wasser, Lebensmittel oder Schmierinfektionen. Die Erkrankung kann zu bleibenden Lähmungen und zum Tod führen. Die Therapie erfolgt nur symptomatisch. Prophylaktisch steht eine Impfung mit einem Totimpfstoff zur Verfügung. In Ländern mit hohem Durchimpfungsgrad tritt die Erkrankung nur noch vereinzelt bei Impflücken durch eingeschleppte Viren auf. Vor Einführung der Schluckimpfung (1962) gab es auch in den Industrieländern Epidemien mit katastrophalen Ausmaßen. Folgen der Erkrankung, wie Tod, Atemlähmung und bleibende Defekte, waren häufig anzutreffen. Heute finden wir die Erkrankung noch in Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte und schlechten hygienischen Bedingungen, vor allem in Indien, Teilen Afrikas und Südostasien.

Die Erreger sind Poliomyelitis-Viren, die zur Familie der Picornaviridae gehören und nur RNA als Erbinformation haben. Es werden drei Serotypen mit unterschiedlicher Virulenz unterschieden. Die Übertragung des Keims erfolgt fäkal-oral, im Anfangsstadium auch über Tröpfcheninfektion. Die Erkrankten scheiden das Virus über den Darm aus. Die Ansteckung erfolgt dann über die Aufnahme von Wasser oder Lebensmitteln, die mit dem Stuhl von Infizierten Kontakt hatten. Gefährlich kann auch das Baden in warmen, stehenden Gewässern sein. Das Virus vermehrt sich im Rachen und Magen-Darm Bereich (Eintrittspforte des Virus) und kann über die Blutbahn in das Rückenmark und den Hirnstamm gelangen. Es setzt sich dort fest und zerstört Nervenzellen. Es kommt zu Lähmungen der Muskulatur. Poliomyelitis ist in Deutschland nach dem Infektionsschutzgesetz eine meldepflichtige Infektionserkrankung.

Die Inkubationszeit, also die Zeitspanne zwischen Ansteckung und dem Auftreten der ersten Krankheitszeichen, beträgt 5 bis 14 Tage, maximal 4 Wochen.

Die Erkrankten sind wenige Stunden nach der Infektion bis zu dem Zeitpunkt ansteckend, an dem der Erreger nicht mehr im Kot nachgewiesen werden kann.

Der Krankheitsverlauf ist bei 90 bis 95% der Infizierten so leicht (inapparent) und folgenlos, dass sie die Erkrankung nicht bemerken. Sie sind dann ihr Leben lang gegen einen der drei Serotypen immun (Impfung schützt vor allen 3 Typen!).

4 Phasen

Bei voll entwickeltem Krankheitsbild unterscheidet man vier Phasen:

  • Das Initialstadium ist unspezifisch, dauert 2 bis 3 Tage und erinnert an einen grippalen Infekt mit leichtem Fieber (bis 38,5ºC), Husten, Schnupfen, Kopf– und Gliederschmerzen.
  • Im fieberfreien Latenzstadium (1 bis 3 Tage) fühlen sich die Patienten gesund.
  • Dann beginnt das präparalytische Stadium (beginnende Haupterkrankung). Das Fieber steigt wieder an. Es kommt zu Symptomen einer Meningitis (Hirnhautentzündung) mit Kopfschmerzen, Bewusstseinstrübung, Erbrechen, Lichtempfindlichkeit, Nackenstarre und psychischen Veränderungen. In diesem Stadium treten auch Blasenentleerungsstörungen und Verstopfung, Rücken– und Gliederschmerzen sowie eine steife Wirbelsäule auf. Die Patienten benützen ihre Arme beim Aufsetzen, um die Wirbelsäule zu entlasten. Manche Erkrankten sind auch nicht fähig, den Kopf in aufgerichteter Lage gerade zu halten. Es kann auch zu Muskelschwäche kommen, die in Lähmungen übergehen kann.
  • Das paralytische Stadium (endgültige Lähmungsstadium) folgt nach wenigen Stunden bis höchstens zwei Tagen nach dem präparalytischen Stadium (7 bis 10 Tage nach Beginn des ersten Fieberanstiegs). Jedoch nur 0,5 bis 1% aller Infizierten machen dieses Stadium durch. Die Lähmungen treten plötzlich auf. Die Kinder gehen abends gesund zu Bett und wachen morgens gelähmt auf. Die Art und das Ausmaß der Lähmungen sind verschieden. Betroffen sind hauptsächlich die Muskeln des Schultergürtels und der Beine. Die Lähmungen erreichen nach 4 bis 5 Tagen ihren Höhepunkt und bilden sich dann zurück. Die Rückbildung kann vollständig erfolgen (30% der Fälle). Bei weiteren 30% der Fälle können leichte Schäden zurückbleiben, bei ebenso vielen Erkrankten bleiben schwere Schäden zurück. Dies sind insbesondere Fehlstellungen der Gliedmaßen durch Ausfall ganzer Muskelgruppen. In bis zu 10% der Krankheitsfälle verursacht die Kinderlähmung eine Atemlähmung, die zum Tod führen kann.

Mit einer Rückbildung der Lähmungserscheinungen kann auch noch nach circa zwei Jahren gerechnet werden. Es ist dazu allerdings intensive Physiotherapie nötig. Die Erkrankung kann in allen Stadien zum Stillstand kommen. Wichtig ist es auch noch einmal hervorzuheben, dass nur 0,5 bis 1% aller Infizierten das paralytische Stadium durchmachen.

Sie sollten sofort bei einem Verdacht auf Polio den Arzt aufsuchen. Treten bei Fieber gleichzeitig Gliederschmerzen und mangelnde Bewegungsfähigkeit auf, sollten sie Ihn umgehend aufsuchen. Bei Poliofällen in Ihrem Umkreis werden Sie auch schon bei Fieber mit Gliederschmerzen hellhörig und konsultieren Sie Ihren Arzt. Berichten Sie ihm von Ihrem Verdacht.

Bei einem Verdacht auf Poliomyelitis muss Ihr behandelnder Mediziner Ihr Kind sofort ins Krankenhaus einweisen. Es besteht Ansteckungsgefahr. Der Erreger kann aus dem Stuhl, dem Rachensekret und dem Liquor (Hirnsubstanz umgebende Flüssigkeit) isoliert und nachgewiesen werden. Eine genaue Diagnosestellung allein anhand der Symptome ist in den frühen Stadien (Initialstadium – praeparalytisches Stadium) nicht zweifelsfrei zu stellen. Eine ursächliche Therapie bei Poliomyelitis gibt es nicht. Es können nur die Symptome behandelt werden. Erste Maßnahme ist grundsätzlich strenge Bettruhe. Das Fieber wird gesenkt. Kommt es zu Schluckbeschwerden oder Atemproblemen wird künstlich beatmet. Bei auftretenden Lähmungen werden Muskel entspannende, wechselnde Lagerungen des Patienten vorgenommen. Mit Physiotherapie kann zwei bis vier Wochen nach der Erkrankung begonnen werden.

Die Komplikationen

Komplikationen bei einer Kinderlähmung sind bakterielle Sekundärinfekte der Luftwege. Es kann auch zu einer Herzmuskelentzündung kommen, die dann zu einer Herzschwäche führen kann.

Nach einer durchgemachten Polioinfektion, die symptomlos verlaufen ist, oder auch bei schwerem Krankheitsverlauf kann es Jahrzehnte nach der Erkrankung zum so genannten Post-Polio-Syndrom (PPS) kommen. Die Symptome sind ungewöhnliche Müdigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen, Muskelschwäche, Atembeschwerden durch mangelnde Funktionsfähigkeit der Brustmuskulatur. In deren Folge können Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und allgemeine Abgeschlagenheit auftreten. Der davon betroffene Personenkreis in Deutschland muss vor 1960 geboren sein und die Polio ohne oder mit Krankheitszeichen durchgemacht haben. Zu der Altersbestimmung kommt man dadurch, dass die Kinderlähmung seit 1960 als in Deutschland nahezu ausgerottet gilt.

Prophylaxe gegen die Kinderlähmung

Die beste Prophylaxe gegen die Kinderlähmung ist die Impfung. Sie schützt vor allen drei Serotypen. Seit Anfang 1998 wird mit einem Totimpfstoff gegen Kinderlähmung geimpft. Er wird injiziert. Die Impfkeime sind nicht vermehrungsfähig und können weder beim Geimpften noch bei Kontaktpersonen die Erkrankung auslösen. Die davor übliche Schluck-Impfung mit abgeschwächten Erregern verursachte in äußerst seltenen Fällen (1 auf > 4 Millionen Impfungen) bei Geimpften Impfpoliomyelitis und noch seltener bei Kontaktpersonen (1 auf > 15 Millionen Impfungen) eine so genannte Impfkontaktpoliomyelitis.

Die Grundimmunisierung umfasst vier Impfungen. Sie erfolgt im dritten, vierten und fünften Lebensmonat sowie zwischen den 12. und 15. Lebensmonaten. Gleichzeitig wird auch eine Kombinationsimpfung gegen andere Infektionskrankheiten angeboten. Dazu zählen Wundstarrkrampf (Tetanus), Diphtherie, Keuchhusten (Pertussis), Hib und Hepatitis B.

Weitere Auffrischimpfungen sind zwischen dem 11. und 18. Lebensjahr notwendig. Erwachsene sollten sich vor Reisen in Gefährdungsgebiete impfen lassen.