Prader-Willi-Syndrom – Ursachen Diagnose Therapie

         

Prader-Willi-Syndrom – Prader-Labhart-Willi-Syndrom (engl. Prader-Willi syndrome). Das Prader-Willi-Syndrom ist eine genetisch bedingte Erkrankung mit einer Vielzahl von Symptomen, die im geistigen oder körperlichen Bereich auftreten können und altersabhängig sind. So fällt kurz nach der Geburt eine schlaffe Muskulatur auf, zwischen dem 1. Lebensjahr und 6. Lebensjahr setzt eine ungebremste Fresssucht ein, die bestehen bleibt und oftmals zu extremem Übergewicht führt. Benannt wurde die Erkrankung nach den Schweizer Kinderärzten Andrea Prader und Heinrich Willi. Ungefähr eines von 10 000 Kindern wird mit diesem Syndrom geboren. Da die Symptome der Erkrankung unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, werden wahrscheinlich nicht alle Fälle erkannt. Eine geschlechtsspezifische oder rassische Häufung gibt es nicht.

Ursachen

Verantwortlich für die Erkrankung ist ein Gendefekt auf dem Chromosom 15. Es gibt dabei drei verschiedene Ausprägungen des Defekts, von denen aber jeder zu den vier wesentlichen Krankheitsmerkmalen (Muskelschwäche, Fresssucht, starkes Übergewicht und unterentwickelte Geschlechtsmerkmale) beim Betroffenen führt. Die Art des Defekts hat aber Einfluss auf das Risiko, erneut ein Kind mit Prader-Willi-Syndrom zur Welt zu bringen. Die betroffenen Gene auf dem Chromosom 15 werden je nach Abstammung („Imprinting“), also abhängig davon, ob sie vom Vater oder der Mutter vererbt werden, aktiv. In diesem Fall sind die väterlichen Gene aktiv, die mütterlichen inaktiv (werden methyliert).

Folgende Ursachen kann der Gendefekt haben: Ein Teil der väterlichen DNA auf Chromosom 15 fehlt (Deletion), das väterliche Chromosom 15 fehlt gänzlich, aber zwei mütterliche Chromosomen 15 sind gleichzeitig vorhanden (uniparentale Disomie = beide homologen Chromosomen stammen von einem Elternteil) oder es tritt ein sogenannter Imprinting-Fehler auf, das heißt, die väterlichen Gene werden bei der Spermienbildung inaktiviert.

Bei den meisten Betroffenen ist eine Deletion die Ursache des Prader-Willi-Syndroms. Eine uniparentalen Disomie ist der zweithäufigste Erkrankungsgrund. Nur circa 1 % der Erkrankten hat einen Imprinting-Fehler.

Bei einer Deletion („Bruchstückverlust eines Chromosoms“) oder einer Disomie besteht – falls die elterlichen Chromosomen keine Defekte aufweisen – kein erhöhtes Risiko, dass bei einer erneuten Schwangerschaft das Prader-Willi-Syndrom wieder auftritt. Bei einem Imprinting-Fehler wird das Risiko mit bis zu 50 % angegeben.

Symptome

Als frühe Symptome fallen seltene oder schwache Kindsbewegungen im Mutterleib auf. Die Kinder kommen oft untergewichtig zur Welt und leiden unter einer Muskelschwäche (Hypotonie), die aufgrund des schwachen Trink-Saug-Reflexes zu einer Trinkschwäche führt. Bei der Geburt bereits auffällig ist auch eine Unterentwicklung der Geschlechtsteile (Jungen -> Hodenhochstand oder kleine Hoden, kurzer Penis und kleiner Hodensack; Mädchen manchmal unterentwickelte Schamlippen). Die Pubertät tritt verzögert oder gar nicht auf.

Die Augen sind mandelförmig, die Stirn schmal und der Mund dreieckig. Hände und Füße sind verhältnismäßig klein. Auch diese Merkmale sind bereits bei der Geburt ausgeprägt, jedoch treten sie erst in späteren Jahren deutlicher hervor. Die Betroffenen leiden auch häufiger als andere unter Kurzsichtigkeit oder Schielen.

Menschen mit Prader-Willi-Syndrom können schon bei der Geburt kleiner als normal sein, deutlich sichtbar ist dies jedoch während der Grundschulzeit. Als Teenager bleibt der Wachstumsschub aus. Die Körpergröße beträgt bei Männern 1,55 m, bei Frauen 1,50 m.

Die Kinder zeigen oft geringere motorische Fertigkeiten – laufen beispielsweise erst mit zwei bis drei Jahren – und haben eine verminderte Muskelbeherrschung. Für gewöhnlich werden die körperlichen Defizite in den Grundschuljahren aufgeholt, eine leichte Beeinträchtigung kann bestehen bleiben.

Die kognitiven Auswirkungen des Gendefekts können eine geringere Intelligenz oder manchmal eine geistige Behinderung sein. Bisweilen bestehen Sprech- und Sprachprobleme. Es können auch Verhaltensprobleme auftreten, wie trotziges Verhalten, emotionale Labilität und unkontrollierte Temperamentsausbrüche.

Meist zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr entwickeln die erkrankten Kinder eine Fresssucht. Das dringende Verlangen nach Nahrung bleibt bestehen, verschlimmert sich aber nicht. Fettleibigkeit kann die Folge sein, die andere Folgeerkrankungen, wie einen Diabetes mellitus (= Zuckerkrankheit), Herz-Kreislauferkrankungen oder Knochenprobleme, nach sich ziehen kann. Die Suche nach essbaren Dingen stellt im Familienleben ein häufiges Konfliktpotenzial dar.

Diagnose

Einen ersten Verdacht auf die Diagnose „Prader-Willi-Syndrom“ ergibt sich aufgrund der vielen gleichzeitig auftretenden Symptome. Die Diagnose kann – auch bei weniger ausgeprägten Krankheitsbildern – durch Gentests (Methylierungstest, FISH, Mikrosatellitenanalyse) bestätigt werden. Beim Methylierungstest ist lediglich Blut der betroffenen Person nötig. Dieser Test sagt jedoch nur etwas darüber aus, ob das Prader-Willi-Syndrom vorliegt oder nicht. Für eine genaue Analyse des Gendefekts sind auch elterliche Blutproben erforderlich. Dann werden eine Chromosomenanalyse, Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) und eine sogenannte Mikrosatellitenanalyse durchgeführt. Mithilfe dieser Untersuchungsmethoden kann auch das Risiko des Wiederauftretens bei einer erneuten Schwangerschaft ermittelt werden.

Behandlung

Die Behandlung erfolgt symptomatisch. Diät und Verhaltenskontrolle sind ständig nötig, um dem Übergewicht Einhalt zu gebieten. Bisweilen kann sogar eine Magen-Bypass-Operation nötig sein. Lebensmittel müssen weggesperrt werden (Kühlschrankschloss) und die Betroffenen eventuell davon abgehalten werden, dass sie Abfälle, Tierfutter oder Gefrorenes essen. Unterstützend kann sich in diesem ständigen Prozess eine psychologische Behandlung auswirken. Den Hormondefiziten versucht man durch die Gabe von Wachstumshormonen und (weiblichen) bzw. männlichen Hormonen zu begegnen. Mit entsprechenden Programmen, wie beispielsweise einer Sprach- bzw. Sprechförderung, können kognitive Störungen verbessert werden. Zur Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten werden eventuell Medikamente verordnet.

Aufgrund der vielfältigen medizinischen Folgeerkrankungen (Diabetes, Herz-Kreislauf) ist die Lebenserwartung von Prader-Willi-Patienten verkürzt. Ein relativ selbstständiges Leben ist beispielsweise in entsprechenden Betreuungseinrichtungen möglich.

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 20.04.2008