Verlauf der Diagnosefindung

In diesem Kapitel wird der optimale Weg zu einer gesicherten Demenzdiagnose geschildert.

Erster Eindruck

Besteht der Verdacht auf eine Störung der Hirnleistung, so ist es dem behandelnden Mediziner mithilfe einfacher Maßnahmen möglich, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen.

Um Hinweise auf Bewegungsstörungen zu erhalten, wird der Arzt seinen Patienten bitten, aufzustehen, ein paar Meter zu gehen und sich wieder hinzusetzen. Anschließend erfolgt eine Überprüfung des Gehörs und des Sehsinns. Erste Hinweise auf Gedächtnisstörungen liefern einfache Fragen, wie:

Lesen Sie Zeitung und wenn ja, welche?

Was sehen Sie sich im Fernsehen am liebsten an?

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen? usw..

Das Erinnerungsvermögen kann auch mit einfachen Rechenaufgaben getestet werden, wie das Rückwärtszahlen in Siebenerschritten von 100 an. Ergeben sich aus den kleinen Tests Anhaltspunkte für mentale Defizite, so werden die Untersuchungen weiter vertieft.

Fragen zur Krankengeschichte (Anamnese)

Natürlich wird der behandelnde Arzt seinen Patienten nach seinen Vorerkrankungen, seiner derzeitigen Medikation und sonstigen Beschwerden fragen. Auch eine Selbsteinschätzung seiner eigenen Gedächtnisleistung wird eruiert. Zur objektiven Ermittlung gibt es dazu diverse Tests, die weiter unten vorgestellt werden.

Hilfreich bei der Diagnosefindung kann dabei auch die Einschätzung von Verwandten und Freunden sein. Sie nehmen mögliche Veränderungen oft objektiver wahr.

Informationen, welche die Diagnose erleichtern können, sind:

  • Wann haben die Beschwerden begonnen und welche Faktoren haben sie möglicherweise ausgelöst?
  • Stehen die Einbußen mit einem wichtigen Lebensereignis, der Einnahme von bestimmten Medikamenten oder anderen körperlichen Beschwerden in Zusammenhang.
  • Wie war der Verlauf? Hat die Vergesslichkeit plötzlich oder schleichend eingesetzt?
  • Gibt es familiäre Vorbelastungen? Gibt es in der Familie (häufige) Fälle eines Morbus Wilson (erblich bedingte Stoffwechselstörung), Parkinsonkrankheit (Schüttellähmung), häufige Fälle von Depressionen oder Chorea Huntington (neurologische Erkrankung mit unwillkürlichen Bewegungen)?

Hilfreich kann auch ein Beobachtungstagebuch sein. In ihm kann notiert werden, welches Symptom, wann und wie lange aufgetreten ist. Auffällige oder untypische Verhaltensweisen sollten auch dort eingetragen werden. Hilfreich kann zudem die Notiz sein, ob das Verhalten durch bestimmte Faktoren ausgelöst wurde.

Laboruntersuchungen

Weiteren Aufschluss geben Laboruntersuchungen. Dies geschieht mithilfe einer Blutprobe. Es wird ein sogenanntes Blutbild mit Differenzialblutbild erstellt. Dabei werden die diversen Blutkörperchen, die Blutplättchen und der Hämoglobinwert ermittelt. Weiterhin werden eine Blutsenkung durchgeführt sowie die Elektrolyte (Natrium, Kalium, Kalzium, Chlorid) bestimmt. Gegenstand der Untersuchungen sind auch die Nierenwerte, Schilddrüsenhormone, „Zucker“ sowie der Vitamin-B12- und Folsäure-Serumspiegel. Manchmal kann es auch nötig sein, weitere Blutuntersuchungen durchzuführen. Hierunter fallen Tests auf bestimmte Metalle, die Erreger der Borreliose oder Drogen.

In bestimmten Fällen wird auch eine Untersuchung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor) angeordnet. Dies kann bsp. in folgenden Fällen als erforderlich gelten, wenn:

  • die Symptome einer Demenz vor dem 55. Lebensjahr in Erscheinung treten;
  • der Verdacht auf eine Infektion des Zentralen Nervensystems besteht;
  • das Immunsystem suppremiert (unterdrückt) ist;
  • der Patient an einem Tumor erkrankt ist, der Metastasen (Tochtergeschwulste) bildet;
  • alle anderen ermittelten Daten zu keinem klaren Ergebnis führen.

Hirnleistungstests

Es gibt mehrere wissenschaftlich erprobte und standardisierte Kurztests, mit denen sich geistige und kognitive Fähigkeiten überprüfen lassen. Es handelt sich dabei um Fragebögen. Folgende Parameter sollen damit erfasst werden: Informationsverarbeitung, Gedächtnis, Wahrnehmung, Konzentration, kommunikative Kompetenzen sowie visuell-räumliche und sprachliche Kompetenzen.

Gebräuchliche Tests sind der Mini-Mental-Status-Test (MMST), der Uhren-Mal-Test sowie ein Test zur Untersuchung der instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL).

Beim MMST werden dem Betreffenden einfache Fragen zur Orientierung gestellt, z. B. „In welchem Bundesland befinden wir uns?“ – oder er soll versuchen, sich an bestimmte Wörter zu erinnern, Gegenstände zu benennen, Wörter vorwärts und rückwärts zu buchstabieren oder einfache gelesene Anweisungen – wie die Augen zu schließen – durchzuführen. Für die einzelnen Aufgaben gibt es Punkte, die dann in der Auswertung den Grad der demenziellen Einbußen ergeben.

Ergänzend wird oft der Uhren-Mal-Test durchgeführt. Hier soll der Patient in einen Kreis eine Uhr malen. Dabei wird beispielsweise bewertet, ob die Zahl 12 oben steht und ob die Uhr auch zwei Zeiger hat.

Weiteren Aufschluss über den Zustand des Patienten bietet noch der IADL-Test (Abkürzung von: instrumental activities of daily living). Hier geht es darum, ob der Betroffene noch selbst kochen, waschen, seine Wohnung sauber halten oder noch selbstständig reisen kann.

Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl von Tests, die einzelne Symptome genauer beleuchten oder insgesamt einfach umfangreicher sind. Sie werden vorwiegend nicht vom Hausarzt, sondern von Fachärzten oder klinischen Einrichtungen durchgeführt.

Internistische Untersuchung

Der internistische Gesamtcheck ist sinnvoll, um evtl. Risikofaktoren aufzudecken und ihnen entgegenzuwirken oder um andere Grunderkrankungen als Ursachen auszuschließen. Eine sehr sinnvolle Untersuchung des Herz-Kreislaufsystems ist in diesem Zusammenhang ein EKG. Zudem ist es empfehlenswert, sich die Hirn versorgenden Blutgefäße mittels Blutdruck- und Ultraschallmessungen genauer anzusehen.

Bildgebende Verfahren

Ergeben sich aus den bisherigen Untersuchungen eindeutige Hinweise auf eine beginnende demenzielle Erkrankung, so erleichtern die modernen bildgebenden Verfahren das Erkennen der genauen Ursachen, wie Tumore oder Durchblutungsstörungen.

Verfahren der Wahl sind die Computertomografie (CT) und die Kernspintomografie, die auch als Magnetresonanztomografie (MRT) bezeichnet wird. Letztere ist vielen Menschen auch als „die Röhre“ bekannt.

Bei der Computertomografie wird das Gehirn schichtweise geröntgt. Mit seiner Hilfe ist es möglich, Hirnblutungen, Tumore oder den Normaldruck-Hydrozephalus zu finden. All diese Erkrankungen können für eine sekundäre Demenz verantwortlich sein.

Die Kernspintomografie ermöglicht es, Schädigungen an den Hirngefäßen festzustellen, die Durchblutungsstörungen bedingen können und eine gefäßbedingte Demenz verursachen. Bei einer Demenz vom Alzheimertyp können aufgrund der Ergebnisse der beiden beschriebenen bildgebenden Verfahren Schrumpfungen im Bereich des Schläfenlappens (= Hippocampus) sichtbar gemacht werden. Diese Hirnregion spielt bei der Bildung von Erinnerungen eine wichtige Rolle.

Daneben gibt es noch Verfahren, mit denen man sogar genau die Durchblutung aller Hirnregionen und sogar Stoffwechselprozesse im Gehirn beobachten kann. Dabei handelt es ich um das SPECT-Verfahren (Single-Photon-Emissions-Computertomografie) und die Positronenemissionstomografie (PET). Mithilfe des PET-Verfahrens lassen sich funktionelle Veränderungen bereits sehr früh nachweisen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei besonders auf der Region des Schläfenlappens, denn Einbußen im Bereich dieser Hirnregion sind typisch für die primären Demenzen. Diese Verfahren stehen jedoch nur in speziellen Zentren zur Verfügung und sind teilweise sehr teuer. Sie kommen deshalb nur bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz.

Bei einem Verdacht auf eine neurologische Erkrankung, die zu Gedächtnisstörungen führt, kann ein EEG (Elektroenzephalografie) gemacht werden. Hierbei werden kleine Elektroden auf der Kopfoberfläche befestigt, mit deren Hilfe die elektrischen Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirn aufgezeichnet werden. Stoffwechselbedingte oder entzündliche Gehirnerkrankungen können so festgestellt werden. Dazu zählen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Schädigungen des Gehirns durch Leberschäden sowie durch Herpesviren ausgelöste Hirnentzündungen.

Diagnosestellung

Damit der Arzt die Diagnose „Demenz“ stellen kann, ist ganz klar definiert (ICD- 10 = International Classification of Diseases and Related Health Problems), welche Kriterien erfüllt sein müssen. Danach liegt eine Demenz nur vor, wenn:

  • Gedächtnisstörungen nachweisbar sind.
  • mindestens eine der folgenden Störungen vorhanden ist: Störungen in den Bewegungsabläufen, zentrale Sprachstörung, Nichterkennen von Gegenständen, stark eingeschränkte Fähigkeit zum Planen, Organisieren und Abstrahieren.
  • normale Alltagstätigkeiten nicht mehr ausgeführt werden können.
  • die Diagnose Delir (Psychose mit Halluzinationen, Aufmerksamkeits- und Orientierungsstörungen) ausgeschlossen ist.
  • die Symptome nicht von einer Depression oder einer schizophrenen Erkrankung (= Störungen mit vielfältigen Symptomen, unter anderem einer gestörten Ich-Wahrnehmung) herrühren.Die Beurteilung, ob eine Demenz vorliegt oder nicht, gehört zum Handwerkszeug eines Arztes. Schwieriger wird es, die genaue Ursache zu ermitteln. Hier sind oft Fachärzte oder aufwendigere Untersuchungen nötig.

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 16.03.2011