Taubheit – Gehörlosigkeit (engl. deafness)

Taubheit – Gehörlosigkeit (engl. deafness)

Der Begriff „Taubheit“ bezeichnet einen vollständigen oder nahezu vollständigen Verlust des Hörvermögens. Leichtere Ausprägungen eines reduzierten Hörvermögens werden als Schwerhörigkeit bezeichnet. Die Übergänge zwischen ausgeprägter Schwerhörigkeit (= Resthörigkeit) und Taubheit können fließend sein. Der Hörverlust kann ein- oder beidseitig auftreten. Man differenziert in eine absolute und praktische Taubheit. Bei letzterer können einzelne Töne oder Geräusche noch wahrgenommen werden.

Anhand des Entstehungszeitpunktes des Hörverlustes wird in eine angeborene oder erworbene Taubheit unterschieden. Der Begriff „angeborene Taubheit“ wird oft synonym zu Gehörlosigkeit verwendet. Der Beginn der Hörstörung ist von enormer Wichtigkeit für die sprachliche und die damit verbundene soziale Entwicklung. Ist die Sprachentwicklung bereits abgeschlossen (meist ab dem 7. Lebensjahr), so bleibt der Sprachwortschatz erhalten, setzt die Gehörlosigkeit früher ein, so kann die Folge Stummheit sein.

Heutzutage gibt es eine Reihe von Therapien (Erlernen der Gebärdensprache oder des Lippenablesens, Cochlearimplantat, Hirnstamm-Implantat), um die Kommunikation mit anderen Menschen aufrecht zu erhalten oder überhaupt erst zu ermöglichen.

In Deutschland leben ungefähr 80 000 Gehörlose, also Menschen, die von Geburt an taub sind oder vor dem Spracherwerb einen Gehörverlust erlitten haben. Die Zahl der ertaubten Menschen, die ihr Gehör nach dem Spracherwerb verloren haben, wird auf 150 000 geschätzt.

Ursachen der Taubheit

Die körperlichen Schädigungen, die zur Taubheit führen, können angeboren sein oder erst erworben werden.

Die angeborene Taubheit ist entweder erblich bedingt oder auf schädigende Ereignisse in der Schwangerschaft zurückzuführen. Gendefekte, die zur angeborenen Schwerhörigkeit oder Taubheit führen, finden sich auf verschiedensten Chromosomen, können von einer Vielzahl von Genen ausgehen und folgen unterschiedlichsten Erbgängen. Bei der sporadischen rezessiven Form besteht die Hörschädigung bereits bei der Geburt. Die beiden Eltern sind Träger des defekten Gens, jedoch können sie selbst völlig gesund sein (autosomal-rezessiver Erbgang). Bei der progredienten (= voranschreitenden) Schwerhörigkeit tritt der Hörverlust erst im Kindesalter auf. Wenigstens ein Elternteil ist Träger des defekten Gens (autosomal-dominanter Erbgang). Eine häufige Ursache für die angeborene Taubheit ist eine Mutation in dem Gen, welches für das Protein Connexin 26 codiert. Das Eiweiß ist essenziell für den Hörvorgang in der Innenohrschnecke.

Ein weiteres Kennzeichen angeborener Hörschäden ist, dass sie isoliert oder in Kombination mit anderen Fehlbildungen auftreten. Zudem können unterschiedlichste Hörstrukturen, wie Mittelohr, Innenohr, Hörschnecke, Hörnerv oder zentrale Bahnen in Mitleidenschaft gezogen sein.

Die Taubheit kann auch durch schädigende Einflüsse auf das Ungeborene in der Schwangerschaft verursacht werden. Häufige Gründe sind Infektionen der Mutter mit dem Röteln-Virus, dem Zytomegalie-Virus, dem tierischen Einzeller Toxoplasma gondii, der durch Katzen übertragen und zum Krankheitsbild der Toxoplasmose führt, sowie Infektionen mit dem Bakterium Treponema pallidum, dem Erreger der Syphilis. Schädigenden Einfluss können auch bestimmte Medikamente mit ototoxischer (= „gehörschädigender“) Wirkung nehmen. Dazu zählen bestimmte Antibiotika oder Krebsmittel.

Die Gehörschäden können auch durch Vorgänge während des Geburtsereignisses oder kurze Zeit danach entstehen (perinatal). Risiken sind Frühgeburten, ein Sauerstoffmangel mit Atemstillstand oder mechanische Schädigungen des Kindes.

Eine erst nach der Geburt (postnatal) erworbene Taubheit kann durch eine Gehirnhaut- oder Gehirnentzündung, einen Schädelbasisbruch oder Infektionskrankheiten, wie Mumps oder Masern, hervorgerufen werden. Zudem führen bisweilen chronische Mittelohrentzündungen oder Vergiftungen mit bestimmten Antibiotika (Aminoglykoside), Diuretika (Etacrynsäure, Furosemid) oder Zytostatika (Bleomycin, Cisplatin) zur massiven Hörschädigung.

Taubheit Symptome

Taube Menschen nehmen Geräusche und Töne nicht wahr und reagieren deshalb nicht adäquat auf die Umgebung. Als Folge ist die Kommunikation mit den Mitmenschen erschwert. Soziale Isolierung und schlechtere Berufsmöglichkeiten können hinzukommen.

Bei Gehörlosen (von Geburt an taub) gibt es auch Syndrome, bei denen Schädigungen an weiteren Organen (Augen, Nieren, Haut, Knochen) auftreten können. Da Hören unmittelbar mit der Sprachentwicklung zusammenhängt, findet ohne forcierte Therapie der Taubheit bereits in frühester Kindheit keine oder nur eine sehr eingeschränkte Ausbildung der Sprachfertigkeit statt.

Diagnose

Eine Taubheit oder starke Beeinträchtigung des Hörvermögens wird meist schon in der ersten Lebenswoche im Rahmen des Neugeborenen-Screening entdeckt. In den nachfolgenden Neugeborenenuntersuchungen wird das Gehör ebenfalls getestet.

Bei einem Verdacht auf Hörschäden erfolgen weitere Untersuchungen (Hörtests). Ziel ist es, den Hörschaden genau zu lokalisieren, um eine adäquate Therapie durchführen zu können. Bei Verdacht auf Hörstörungen bei kleinen Kindern können folgende Tests durchgeführt werden:

  • Hirnstammaudiometrie (= BERA -> Brainstream Electric Response Audiometry): Diese Untersuchungsmethode ist ein objektiver Hörtest. Er wird besonders oft bei Neugeborenen und Kindern angewendet. Der Test dient der Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Innenohrs und der Hörbahn. Letztere bezeichnet die Nervenleitung und Signalverarbeitung von der Reizung der Haarzellen in der Hörschnecke bis zum Hörempfinden im Gehirn. Unter leichter Sedierung oder im Schlaf werden dazu den Kindern über einen Kopfhörer nacheinander Geräusche in unterschiedlicher Lautstärke auf beiden Ohren vorgespielt. Die Hirnströme werden dabei über Kopfelektroden gemessen und mithilfe eines Computers ausgewertet.
  • Elektrocochleographie: Ermittelt die Aktivität der Gehörschnecke und des Hörnervs. Sie eignet sich unter anderem, um Säuglinge oder Kleinkinder auf massive Schwerhörigkeit zu testen.
  • Otoakustische Emissionen nutzen Schallwellen, um das Innenohr anzuregen. Der Test gibt Auskunft, ob Schädigungen der äußeren Haarzellen des Innenohrs vorliegen. Es handelt sich ebenfalls um einen objektiven Test. Das Hörvermögen von Neugeborenen kann damit überprüft werden. Bei Erwachsenen hilft dieser Test, um die Ursache des Hörverlustes aufzuspüren.

In Abhängigkeit von den Ergebnissen der Hörtests werden bildgebende Verfahren, wie die Computer- oder Magnetresonanztomografie, eingesetzt, um anatomische Veränderungen im Bereich der Hörschnecke oder des Hörnervs ausfindig zu machen.

Behandlung

Je nach Ausprägung und Ursache des Hörverlustes sind verschieden Behandlungsoptionen möglich.

  • Hörgerät: Diese Hörhilfen werden hinter dem Ohr oder im Gehörgang getragen und bestehen aus Mikrofon, Verstärker, Lautsprecher und Stromquelle. Die Lautstärke kann individuell eingestellt werden.
  • Cochleaimplantate sind elektronische Hörprothesen, die Gehörlosen eingesetzt werden können, deren Innenohr geschädigt ist, die aber über intakte Hörnerven verfügen. Die Implantate leiten über Elektroden, die direkt in die Schnecke münden, elektronische Signale unmittelbar zum Hörnerv im Innenohr. Das Cochleaimplantat überträgt den Schall nicht so gut, wie eine gesunde Schnecke, aber sie unterstützt, die Menschen in ihrer Hörfähigkeit. So kann es helfen, um besser von den Lippen abzulesen, die eigene Sprache für andere verständlicher zu machen oder Geräusche zu hören, die bislang unbekannt waren (bsp. Vogelgezwitscher). Manchen hilft es auch, am Telefon zu kommunizieren.
  • Hirnstamm-Implantat: Hierbei handelt es sich um eine relativ neue Technik, bei der die Hörnervenkerne im Gehirn direkt gereizt werden. Diese Therapiemöglichkeit kann in Erwägung gezogen werden, wenn Schäden am Hörnerven vorliegen. Allerdings handelt es sich um einen neurochirurgischen Eingriff.

Andere Strategien, um mit der Schwerhörigkeit umzugehen, sind das Erlernen des Lippenablesens oder die Gebärdensprache.

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 20.04.2008