Diabetes im Kindes- und Jugendalter

Diabetes mellitus ist im Kindes- und Jugendalter eine der häufigsten chronischen Erkrankungen. In der Altergruppe bis 19 Jahre leiden in Deutschland etwa 25 000 Kinder an Typ-1-Diabetes. Die Neuerkrankungsrate steigt jährlich um 3 bis 4 Prozent. Aber auch die Zahl der Jugendlichen, die an Typ-2-Diabetes erkranken, nimmt immer weiter zu. Verantwortlich für diesen Erkrankungstyp ist hauptsächlich der zivilisationsbedingte Lebensstil, der sich durch Übergewicht, mangelnde Bewegung und ungesunde Ernährung auszeichnet. In Deutschland werden jährlich ungefähr 200 Neuerkrankungen an Typ-2-Diabetes bei Kindern- und Jugendlichen unter 20 Jahren feststellt. Gerade bei dieser Gruppe ist es entscheidend, dass eine gesunde Lebensführung mit Sport und ausgewogener Ernährung vorgelebt wird und Einzug in das tägliche Leben findet.

Die Behandlungsziele bei Diabetes im Kinder- und Jugendalter werden folgendermaßen definiert:

  • Vermeidung akuter Komplikationen, wie Unter– und Überzuckerungen, Ketoazidose oder diabetisches Koma;
  • Reduktion von diabetischen Folgeerkrankungen. Voraussetzung dafür ist eine möglichst optimale Blutzuckereinstellung und das rechtzeitige Erkennen von weiteren Risikofaktoren, wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, Fettsucht und Rauchen.
  • Altersentsprechende körperliche Entwicklung mit normalem Längenwachstum, Gewichtszunahme und Pubertätsbeginn.
  • Normale psychosoziale Entwicklung. Um dies zu erreichen, sollte die ganze Familie in die Behandlung eingeschlossen werden. Der Patient muss altersentsprechend eigenverantwortlich an die Behandlung herangeführt werden. Insulininjektionen und Mahlzeiten sollten möglichst flexibel auf seinen Tagesablauf abgestimmt werden. Die Therapie darf seine soziale Integration nicht behindern.

Ursachen für Diabetes im Kindesalter

Die Ursachen für Typ-1-Diabetes im Kindesalter sind auf mehrere Einflüsse zurückzuführen. Dabei spielen geographische Faktoren – in Finnland z.B. tritt Typ-1-Diabetes gehäuft auf -, bestimmte virale Infektionen, eine gewisse erbliche Disposition und unbekannte ernährungsbedingte Faktoren (nicht Süßigkeiten) eine Rolle. Die Eltern und Kinder haben keine Schuld am Auftreten der Erkrankung. Der Diabetes ist auch nicht ansteckend.

Bei Typ-2-Diabetes im jugendlichen Alter sind – wie oben erwähnt – vor allem ernährungsbedingtes Übergewicht und eine gewisse genetische Disposition verantwortlich für das Auftreten der Erkrankung. Eine Reduktion des Gewichts verbunden mit der Umstellung der Ernährung und vermehrter körperlicher Aktivität bringen hier oft schon allein eine Besserung des Krankheitsverlaufs.

Symptome Diabetes bei Kinder und Jugendlichen

Die Anzeichen eines Diabetes mellitus – vor allem des Typs 1 – entwickeln sich innerhalb von einigen Tagen bis Wochen. Die ersten klinischen Auffälligkeiten sind:

  • häufiges Wasserlassen mit großen Mengen an Urin; die Kinder können davon nachts aufwachen oder sie nässen wieder ein;
  • vermehrtes Durstgefühl; die Kinder trinken teilweise mehrere Liter Flüssigkeit pro Tag;
  • Gewichtsverlust trotz guten Appetits;
  • Müdigkeit, Unausgeglichenheit und Stimmungsschwankungen;
  • erhöhte Anfälligkeit für Infektionen;
  • Verminderung der körperlichen Leistungskraft und der Konzentrationsfähigkeit;
  • in einem weiter fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung können Bauchschmerzen und Azetongeruch der Atemluft auftreten.

Treffen einige dieser Krankheitszeichen auf ihr Kind zu, so suchen Sie umgehend einen Arzt auf, um Ihr Kind vor kritischen Notfällen, wie einem diabetischen Koma, zu bewahren.

Gerade bei jugendlichen Typ-2-Diabetikern kann es aber auch sein, dass nur ganz unspezifische Probleme, wie Bauchschmerzen offensichtlich sind. Das meist erhöhte Körpergewicht und erbliche Vorbelastungen geben hier zusätzliche Hinweise auf die Erkrankung.

Diagnose und Kontrolluntersuchungen

Auch bei Kindern erfolgt die Diagnose des Diabetes mellitus durch Blut- und Urinuntersuchungen. Die Untersuchungen können bei einem Kinder- oder Jugendarzt durchgeführt werden. Ein Blutzuckertest aus dem Urin kann auch mit Teststäbchen zu Hause gemacht werden. Die Teststreifen zeigen bei Erkrankung durch eine Verfärbung an, dass der überschüssige Blutzucker bereits über die Nieren ausgeschieden wird.

Diabetes mellitus liegt vor, wenn der Nüchternblutzuckerwert mehr als 120 mg/dl beträgt und nach einer Mahlzeit auf 180 mg/dl steigt. Liegen die Werte in einem Bereich zwischen eindeutiger Erhöhung und Norm (nüchtern orale Glukosetoleranztest (OGTT) oder die Erstellung eines Blutzuckertagesprofils.

Laut aktuelleren Studien können so genannte Autoantikörper (=Antikörper gegen körpereigene Strukturen) bereits im Prädiabetesstadium nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass bereits Kinder zwischen dem 9. und 24. Lebensmonat Antikörper gegen spezifische Inselzellproteine bilden. Ein großer Prozentsatz der Inselzellantikörper (ICA) sind Antikörper gegen die so genannte Glutamatdecarboxylase (GAD). Weitere Antikörper richten sich gegen Insulin (Insulinautoantikörper, IAA) und gegen das Enzym Tyrosinphosphatase IA2 und IA2 Beta.

Werden bei den kleinen Kindern vermehrt Antikörper gegen die Inselzellproteine gefunden, so haben sie ein hohes Risiko bereits im Kindesalter an Diabetes mellitus vom Typ 1 zu erkranken. Als diagnostische Routineverfahren werden diese Untersuchungen auf Antikörper jedoch noch nicht eingesetzt.

Steht die Diagnose Diabetes mellitus fest, so wird das Kind schnellstmöglich in einem Krankenhaus therapiert. Hier erfolgt auch eine umfassende Schulung der Eltern und des erkrankten Kindes. Der Besuch oder der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe kann den Umgang mit der Erkrankung zusätzlich verbessern.

Im Laufe der Erkrankung sind immer wieder kehrende Kontrolluntersuchungen nötig, um den diabetischen Folgeerkrankungen (Verminderung der Sehfähigkeit, Nierenversagen, Nervenschädigungen) wirkungsvoll vorzubeugen. Bereits vor dem 10. Lebensjahr ist es sinnvoll, die Eiweißausscheidungen im Urin regelmäßig zu überprüfen und eine Augenuntersuchung mit Spiegelung des Augenhintergrunds vorzunehmen. Eine vierteljährliche Kontrolle – beispielsweise in einer Kinderdiabetes-Ambulanz – ist auf jeden Fall empfehlenswert. Dabei sollten auch die Blutdruck-, Blutfett– und Schilddrüsenwerte untersucht werden.

Therapie Diabetes bei Kinder und Jugendlichen

Die Therapie des Diabetes stützt sich – wie bei Erwachsenen auch – auf vier Eckpfeiler. Dazu gehören gute Information und Schulung, eine Umstellung der Ernährung, die Insulintherapie und körperliche Aktivität.

Eine Schulung und der Umgang mit Insulin erlernen die Eltern und das Kind meist schon im Krankhaus. Darüber hinaus ist es wichtig, alle Informationsquellen über die Krankheit zu nutzen und eventuell Kontakt mit einer Selbsthilfegruppe aufzunehmen. Vor allem bei Kleinkindern ist der Informationsbedarf sehr hoch, da sie noch keine Einsicht haben, dass eine teilweise schmerzhafte Therapie lebensnotwendig sein kann. Hier stehen die Eltern oft vor großen Problemen, die Behandlung konsequent mit dem Kind durchzuführen.

Die Ernährung wird je nach Alter und Gewicht des Kindes mit einem Arzt, dem Ernährungsberater (Diätassistentin) und den Eltern auf das Kind abgestimmt. Die Nahrung sollte zu ca. 55% aus Kohlenhydraten, zu 30% aus Fett und zu 15% aus Eiweiß bestehen. Im Vordergrund stehen langsam verwertbare Kohlenhydrate und Ballaststoffe. Ein absolutes Süßigkeitsverbot besteht dabei nicht, jedoch sollte die Aufnahme von Trauben- (außer Unterzuckerung!) und Rohrzucker eher vermieden werden. Empfehlenswert ist die Verteilung des täglichen Essens auf drei Hauptmahlzeiten und zwei bis drei Zwischenmahlzeiten. Nach der Insulininjektion sollte dann – je nach Insulinart und Blutzuckerwert – gleich oder spätestens nach einer halben Stunde gegessen werden, da das gespritzte Insulin dann seine größte Wirkung entfaltet.

Die zugeführten Kalorien sind zudem abhängig von dem Ausmaß der körperlichen Bewegung. In Abstimmung mit dem behandelnden Arzt oder einer Diätassistentin müssen dann weitere Kohlenhydrate, beispielsweise in Form von Fruchtsaft aufgenommen werden.

Bei Kindern, die unter Typ-1-Diabetes leiden, sind prinzipiell drei Möglichkeiten der Insulinsubstitution möglich. Dazu zählen die konventionelle Insulintherapie, die intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) und die Insulinpumpentherapie. Bei der konventionellen Insulintherapie werden pro Tag ein bis drei Injektionen mit Mischinsulin durchgeführt. Die Nahrungsmenge und die körperliche Aktivität richten sich strikt nach der gespritzten Insulindosis. Vorteil dieser Methode ist die geringere Anzahl von Insulininjektionen, Nachteil die unflexible Diät.

Die intensivierte konventionelle Insulintherapie funktioniert nach dem so genannten Basis-Bolus-Prinzip. Dabei wird nahrungsunabhängig zur Deckung des Insulingrundbedarfs meist ein Langzeitinsulin gespritzt. Vor den Mahlzeiten wird jeweils zusätzlich in Abhängigkeit von der Kohlenhydratmenge in der folgenden Mahlzeit, dem aktuellen Blutzuckerwert und der vorgesehenen körperlichen Aktivität der so genannte Bolus-Bedarf in Form eines schnellwirkenden Normalinsulins injiziert. Die häufigen Blutzuckermessungen und Insulininjektionen werden von den Kindern als Nachteil empfunden. Dafür können der Zeitpunkt und die Zusammensetzung der Mahlzeiten flexibler gestaltet werden. Außerdem erreicht man mit dieser Therapieform meist eine bessere Einstellung der Blutzuckerwerte, wodurch sich das Auftreten diabetische Folgeerkrankungen besser hinauszögern oder vermeiden lässt. Auch für Kinder schon erhältlich sind so genannte Insulinpumpen. Sie können unter die Haut eingepflanzt oder am Körper getragen werden. Über einen Katheter wird die benötigte Insulinmenge automatisch in das Blut abgegeben. Die häufigen Insulininjektionen entfallen.

Körperliche Aktivität und Sport sollte ein wichtiger Bestandteil im Alltag des Kindes sein. Sport erhöht die Wirkung des Insulins und hat einen positiven Effekt auf das Körpergewicht. Die Insulindosis muss aber bei sportlicher Aktivität eventuell reduziert werden oder es müssen zusätzliche Kohlenhydrate gegessen werden, da es sonst zu einer Hyperglykämie kommen kann. Das Kind sollte für solche Fälle immer Traubenzuckerplättchen bei sich haben.

Bestandteil der Therapie für Kinder mit Typ-2-Diabetes sind natürlich auch die Schulung und Information zur Krankheit, ein verändertes gesundes Ernährungsverhalten und ausreichende bis verstärkte körperliche Aktivität. Anders als bei Typ-1-Diabetikern besteht bei dieser Erkrankungsform nicht von vornherein ein absoluter Insulinmangel, der substituiert werden muss. Die Erkrankung beginnt auch eher schleichend und ist selten von einem ketoazidotischen Koma begleitet. Autoantikörper gegen Inselzellbestandteile finden sich nicht.

Die Behandlung erfolgt nach einem Stufenplan. Durch Anregung zur vermehrten körperlichen Aktivität und mit Hilfe einer speziellen Diabetesdiät wird zunächst versucht, das Gewicht der (kleinen) Patienten zu reduzieren. Allein dadurch kommt es oft zu einer Normalisierung des Blutzuckers. Stellen sich die gewünschten Werte nicht ein, so wird eine Behandlung mit oralen Antidiabetika begonnen. Mittel der Wahl ist Metformin. Gründe dafür sind das geringe Hypoglykämie-Risiko, der positive Effekt auf den Gewichtsverlauf und die reduzierende Wirkung auf die Blutfettwerte. Die Gegenanzeigen, wie Störungen von Leber- und Nierenfunktionen, dürfen natürlich nicht aus den Augen verloren werden.

Bringt auch diese medikamentöse Therapie nicht den gewünschten Erfolg, so kommen noch weitere orale Antidiabetika zum Einsatz oder es erfolgt eine Kombinationstherapie mit Metformin und Insulin. In einigen Fällen, wenn die klinischen Symptome sehr massiv sind (massive Hyperglykämie und HbA1c-Werten von über 10%), wird auch von vornherein mit einer Kombination aus Metformin und Insulin therapiert.

Ganz besonders wichtig für die gesundheitliche Zukunft des Kindes sind auch die regelmäßige Kontrolle und Einstellung des Blutdrucks und der Blutfettwerte. Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen in Verbindung mit Diabetes erhöhen das Risiko, später einen Herzinfarkt oder Gehirnschlag zu erleiden, ganz wesentlich.

Verlauf der Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes

Der Verlauf des Diabetes bei Kindern wird in mehrere Phasen eingeteilt, die von der Restaktivität der Bauchspeicheldrüse und dem Lebensalter (bsp. Pubertät) des Kindes abhängig sind. Entscheidendes Kriterium ist der Insulinbedarf. Bei Kindern mit Typ-1-Diabetes geht man von einem Insulin-Tages-Bedarf von ca. 0,8 bis 1,0 I.E. pro Kilogramm Körpergewicht aus. Dabei beträgt der Basalbedarf 0,35 I.E pro Kilogramm Körpergewicht und der Prandialbedarf (nach dem Essen) 0,65 I.E. pro Kilogramm Körpergewicht oder 1,35 I.E. pro Broteinheit.

In der Initialphase des Diabetes stehen meist die klassischen Symptome, wie vermehrtes Durstgefühl, häufiges Wasserlassen und Gewichtsabnahme im Vordergrund. In 80 Prozent der Fälle dauert es circa drei Wochen vom ersten Auftreten der Diabetessymptome bis zur Diagnose des Diabetes mellitus vom Typ 1. In dieser 1- bis 2-wöchigen Phase beträgt der Insulinbedarf ca. 0,5 bis 1,5 I.E. /kg Körpergewicht.

In der so genannten Remissionsphase, die 2 bis 3 Tage nach der ersten Insulinbehandlung beginnt, braucht das Kind plötzlich weniger Insulin als in den ersten Tagen. Eine weitere Reduktion des Insulinbedarfs lässt sich nach 1 bis drei Wochen beobachten. Der Insulindosis kann dann geringer als 0,5 I.E./kg KG sein. Diese Phase mit sehr geringem Insulinbedarf kann nur mehrere Wochen oder aber auch Jahre anhalten. In dieser Zeit sollten die Eltern und das Kind intensiv geschult werden. Nach Beendigung der Remissionsphase – in der so genannten Dauerphase – steigt der Insulinbedarf wieder stark an (> 0,8 I.E. /kg KG). Zu diesem Zeitpunkt hat sich ein absoluter Insulinmangel eingestellt. Die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse bilden selbst kein Insulin mehr.

Besonders kritisch für den Verlauf ist die Pubertätsphase, die durch starke Schwankungen der Stoffwechsellage und erhöhten Insulinbedarf charakterisiert ist. Erschwerend in dieser Entwicklungsphase kommen meist noch eine Vernachlässigung der notwendigen Behandlung und eine ablehnende Haltung gegenüber der Erkrankung hinzu. In der Adoleszenzphase (Erwachsenenphase – nach der Pubertät) pendelt sich der Stoffwechsel wieder ein und der Insulinbedarf geht allmählich zurück. Jetzt ist es wichtig, die Insulinmenge langsam zu vermindern. Der Diabetiker läuft sonst Gefahr, stark zuzunehmen, da die täglich zugeführte Energie und Insulinmenge über dem eigentlichen Bedarf liegen.

Krankheitsentwicklung

Bei rechtzeitiger Diagnose und guter konsequenter Behandlung können Folgeerkrankungen und Spätschäden vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Der Diabetiker kann bei gesunder Lebensführung und mit der optimalen Therapie ein größtenteils normales Leben führen.