Stadien der Chronifizierung

Der Schmerz wird nach den meisten internationalen Klassifikationssystemen als chronisch bezeichnet, wenn er länger als ein halbes Jahr andauert. Diese Einteilung wird dem unterschiedlich schnell verlaufenden Entstehungsvorgang der eigentlichen „Schmerzkrankheit“ nicht gerecht.

Daher etabliert sich immer mehr der Begriff der „Chronifizierung“. Er beschreibt den Prozess der Loslösung des Symptoms „Schmerz“ von seiner ursprünglichen Ursache. Dabei werden verschiedene Stadien unterschieden, bei denen körperliche (=somatische), psychologische und soziale Faktoren erfasst werden.

Die Chronifizierung verläuft nicht starr nach einem zeitlich festgelegten Schema, sondern ist von der jeweiligen Schmerzerkrankung und der individuellen Konstitution des Patienten abhängig. So kann die Chronifizierung bei einigen Patienten – die beispielsweise unter einem atypischen Gesichtsschmerz leiden – bereits nach wenigen Monaten sehr weit fortgeschritten sein, bei anderen, wie Rheumakranken, kann sich die Chronifizierung über Jahre hinziehen.

Patienten mit fortgeschrittener Chronifizierung stellen nur einen kleinen Teil aller chronischen Schmerzpatienten dar (ca. 2 – 5%). In Zentren, die auf die Behandlung von chronischen Schmerzen spezialisierten sind, können sie 25 bis 50% aller Patienten ausmachen.

Die Kenntnis des Chronifizierungsgrades ist für folgende therapeutische Maßnahmen wichtig:

  • die individuelle Therapieplanung;
  • die Prävention (= Vorbeugung) des weiteren Voranschreitens der Erkrankung.

Die einzelnen Chronifizierungsstadien werden nach Schmerzverlauf und -lokalisation, Verhalten bei der Medikamenteneinnahme, Inanspruchnahme des Gesundheitswesens und psychosozialen Risikofaktoren eingeteilt.

Stadium I

Bei diesem Grad der Chronifizierung empfindet der Patient Schmerzen von unterschiedlicher Intensität. Außerdem gibt es schmerzfreie Intervalle. Der Ort des Schmerzgeschehens kann klar umschrieben werden und es ist auch meist nur ein Schmerzpunkt auszumachen. Die Einnahme der Schmerzmedikamente erfolgt dem Schmerz angemessen und entsprechend der ärztlichen Verordnung. Meist konsultiert der Betroffene nur einen Arzt und die empfohlenen Spezialisten. Es erfolgten auch noch nicht mehr als eine Krankenhaus- oder Reha-Behandlung aufgrund der Schmerzen oder auch nicht mehr als ein schmerzbedingter operativer Eingriff. Im familiären und psychosozialen Bereich gibt es die üblichen Probleme.

Stadium II

Die Schmerzen werden als lang anhaltend empfunden, die Intensität wechselt wenig. Die Lokalisation des Schmerzgeschehens umfasst größere Areale. In Bezug auf die Medikamenteneinnahme sind vereinzelte Missbrauchs- und Entzugsepisoden zu beobachten. Ein Arztwechsel erfolgte schon zwei- bis dreimal, Spezialisten gleichen Fachs werden häufig gewechselt. Wegen der Schmerzen erfolgten schon 2-3 stationäre Behandlungen und operative Eingriffe. Das Schmerzgeschehen wirkt sich zunehmend auf die Ehe, Familie, soziale Umwelt und den Beruf aus.

Stadium III

Der Patient klagt über Dauerschmerzen. Mehr als 70% der Körperoberfläche sind vom Schmerzgeschehen betroffen, der Schmerz lässt sich an vielen Köperstellen lokalisieren. Ein Arztwechsel erfolgte mehr als 3mal, teilweise sucht der Patient zwanghaft und ziellos immer mehr Ärzte auf (= „Doctor shopping“). Außerdem haben die Betroffenen meist schon mehr als drei schmerzbedingte Behandlungen und operative Eingriffe hinter sich. Es kommt zum Versagen im Bereich der Familie, der Ehe und im Beruf.

Zentrum für Schmerztherapie
Chronische Schmerzen