Myasthenia gravis pseudoparalytica – Erb-Goldflam-Krankheit – Goldflam-Krankheit und Hoppe-Goldflam-Syndrom

         

Myasthenia gravis pseudoparalytica – Erb-Goldflam-Krankheit – Goldflam-Krankheit und Hoppe-Goldflam-Syndrom Die Myasthenia gravis pseudoparalytica ist eine Autoimmunerkrankung, die zu einer unregelmäßig zunehmenden Beeinträchtigungen der Muskelfunktion führt. Die Patienten bilden Antikörper gegen körpereigene Strukturen (Acetylcholinrezeptor), die eine zentrale Rolle bei der Reizübertragung von den Nerven auf die Muskeln spielen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer neuromuskulären (= die Nerven und Muskeln betreffenden) Störung. Die Folge der gestörten Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln ist eine schnelle Ermüdbarkeit der Muskulatur und Muskelschwäche.

In der Fachliteratur werden zwei Formen der Myasthenia gravis pseudoparalytica unterschieden: Die gynäkotrope Form tritt zwischen dem 20. und 40 Lebensjahr bevorzugt bei Frauen auf und ist häufig mit Fehlfunktionen des Thymus assoziiert. Diese „Ausbildungsstätte“ von körpereigenen Abwehrzellen liegt hinter dem Brustbein über dem Herzen und ist auch dafür verantwortlich, dass die Abwehrzellen zwischen körpereigenen und körperfremden Substanzen unterscheiden können. Die sogenannte androtrope Form manifestiert sich nach dem 40. Lebensjahr und betrifft vorwiegend Männer. Jährlich erkranken zwischen drei bis zehn Menschen von 100 000 Einwohnern.

Ursache

Bei den meisten Patienten mit Myasthenia gravis pseudoparalytica finden sich Autoantikörper, die im Blut zirkulieren. Sie greifen die Acetylcholinrezeptoren an. Dadurch kann ein Überträgerstoff, das Acetylcholin, das aus der Nervenzelle freigesetzt wird und an einem eigenen Rezeptor der Muskelzelle (Acetylcholinrezeptor) anbindet, seine Funktion nur noch unvollständig erfüllen. Die Übertragung des Nervenimpulses ist gestört und die Kontraktion des Muskels unterbleibt.

Die genaue Ursache der Krankheitsentstehung ist nicht bekannt. Eine gewisse genetische Veranlagung scheint eine Rolle zu spielen. Zudem kann bei über 80 % der Erkrankten eine Veränderung des Thymus festgestellt werden. Dieses Organ ist entweder vergrößert (Thymushyperplasie) oder entzündet (Thymitis) oder von einem bösartigen Tumor (Thymom) befallen. Die genaue Bedeutung des Thymus für die Entstehung der Erkrankung ist nicht gänzlich geklärt.

Auch außergewöhnliche (psychische) Faktoren scheinen bei dem Ausbruch der Erkrankung eine Rolle zu spielen. Dies können beispielsweise eine Schwangerschaft oder belastende Erlebnisse sein.

Symptome

Die häufigsten Symptome sind schwere, herabhängende Augenlider und eine Schwäche der Augenmuskeln, die zum Doppeltsehen führt. Bei einem Teil der Patienten sind nur die Augen betroffen, bei den meisten zeigt sich die Muskelschwäche jedoch am ganzen Körper. Dies kann sich in Schwierigkeiten beim Sprechen, Schlucken und Kauen äußern oder in einer Schwäche in den Armen oder Beinen. Ebenso kann die Nackenmuskulatur betroffen sein. Das Empfinden ist jedoch nicht beeinträchtigt.

Die geschilderten Symptome treten typischerweise nach längerer Beanspruchung der Muskulatur auf. Die Augenprobleme zeigen sich beispielsweise nach längerem Lesen, eine schwächer werdende Stimme beim Reden und Schluckbeschwerden gegen Ende einer Mahlzeit. Etwa 15 % der Patienten erleiden einen schweren Krankheitsschub (myasthenische Krise). Dabei kann es zu einer lebensbedrohlichen Schwäche der Atemmuskulatur kommen, die zu hochgradiger Luftnot und Erstickungsgefahr führt.

Die Schwere der Erkrankung ist jedoch von Patient zu Patient unterschiedlich. Bei vielen kommt es nur zu den Augensymptomen, andere haben immer neue Symptome (bsp. Schluckbeschweren), bei manchen verschwinden die Krankheitszeichen für eine lange Zeit von selbst. Auch tageszeitliche oder phasenweise Schwankungen der Erkrankungsausprägung sind möglich. Typischerweise verstärkt sich die Muskelschwäche im Tagesverlauf. Viele Lebensumstände können krankheitsverstärkend oder mildernd wirken. So verschlimmern Infekte, Stress oder starke körperliche Arbeit die Symptomatik. Eine positive seelische Verfassung kann bessernd wirken.

Äußerst wichtig zu wissen ist, dass sich viele Medikamente negativ auf das Beschwerdebild auswirken können oder sogar eine myasthenische Krise hervorrufen. Dazu gehören beispielsweise Betablocker, Schlaftabletten (Benzodiazepine, Barbiturate) und Magnesium-Präparate.

Diagnose

Die allgemeine Muskelschwäche, die vor allem die Augen und den Gesichtsbereich betrifft und sich bei Belastung verschlimmert, bei Ruhe aber bessert, deutet auf die Autoimmunerkrankung hin. Da die meisten Acetylcholinrezeptoren durch die Antikörper blockiert sind, können versuchsweise Medikamente (Cholinesterasehemmer) verabreicht werden, welche den Acetylcholinspiegel erhöhen. Bessert sich die Muskelfunktion unter dieser Medikamentengabe vorübergehend, so erhärtet sich der Verdacht auf die Autoimmunerkrankung. Weitere diagnostische Maßnahmen sind die Funktionsprüfung von Nerven und Muskeln mithilfe der Elektromyografie (EMG) bei gleichzeitiger Verabreichung eines Cholinesterasehemmers (= Acetylcholinspiegel erhöhendes Medikament). Das Blut wird auf Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor geprüft. Mithilfe der Kernspin- oder Computertomografie lassen sich krankhafte Veränderungen des Thymus aufspüren.

Behandlung

Bei Patienten, die krankhafte Veränderungen des Thymus haben, sollte dieses Organ operativ entfernt werden. Nach einiger Zeit bessern sich dann bei den meisten Patienten die Beschwerden. Medikamente, die das eigene Immunsystem unterdrücken, reduzieren langfristig die Symptome. Eingesetzt wird das Kortison Prednison und Immunsuppressiva, wie Azathioprin.

Eine weitere Therapieoption sind sogenannte Cholinesterase-Hemmer (bsp. Pyridostigminbromid), die eine schnelle Verbesserung der Beschwerden bewirken, jedoch nicht für den Dauergebrauch geeignet sind. Falls die Beschwerden sehr gravierend sind oder eine myasthenische Krise auftritt, kann ein Plasmaaustausch (Plasmaphorese) angezeigt sein. Dabei werden aus dem Blut die Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor entfernt. Des Weiteren können hoch dosierte Immunglobuline angewendet werden.

Prognose

Aufgrund der vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten reduziert die Myasthenia gravis pseudoparalytica die Lebenserwartung nicht mehr. Körperliche Beeinträchtigungen können vorhanden sein, das Führen eines selbstständigen Lebens ist weitestgehend möglich.

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 15.06.2008