Manisch-depressive Erkrankung – bipolare Störung

Die Gefühlsstimmungen, denen manisch-depressive Menschen häufig ausgesetzt sind, können sehr treffend mit „himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt“ charakterisiert werden. Dabei bezeichnet man emotionale, länger bestehende Störungen, die in Form übermäßiger Niedergeschlagenheit auftreten, als Depression und als Gegenpol dazu eine dem Anlass unangemessene Hochstimmung als Manie.

Bei der manisch-depressiven Erkrankung oder einer bipolaren Störung wechseln sich diese beiden extremen Gefühlsstimmungen unregelmäßig phasenweise ab, wobei unterschiedliche Verlaufsformen bekannt sind (bipolar I, bipolar II, Hypomanie, gemischte Episode, Zyklothymie). Zwischen den extremen Gefühlsphasen können auch normale Phasen auftreten, in denen weder depressive noch manische Beschwerden vorliegen.

Abgegrenzt werden muss die Erkrankung von emotionalen Stimmungslagen, wie Trauer und Freude. Diese sind ein ganz normaler Bestandteil des Lebens und normale emotionale Reaktionen auf einen Verlust, eine Katastrophe oder auf Erfolge und schöne Ereignisse. Im Gegensatz dazu sind Niedergeschlagenheit und Hochstimmung bei der manisch-depressiven Erkrankung – bezogen auf ein bestimmtes Ereignis – zu stark ausgeprägt und halten zu lange an. Die Erkrankung beeinträchtigt in starkem Maße die Fähigkeit eines Menschen, körperlich, sozial und beruflich seinen Alltag zu bewältigen.

Es muss klar herausgestellt werden, dass die manisch-depressive Erkrankung nichts mit Instabilität, „Zusammenreißen“, „Unreife“ oder „geistiger Verwirrung“ zu tun hat. Vielmehr sind bei dieser Erkrankung unsere „Stimmungsregler“, also physische Faktoren, wie beispielsweise unsere Hormone oder Botenstoffe im Nervensystem, aus den Fugen geraten. Dies ist behandelbar.

Das Risiko, an einer bipolaren Störung zu erkranken, beträgt ungefähr 1 %. Dabei sind beide Geschlechter gleich häufig betroffen. Die Erkrankung tritt für gewöhnlich erstmalig zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf. Ein noch früherer Erkrankungsbeginn (vor dem 16. Lebensjahr) ist aber ebenso möglich.

Ursachen einer Manisch-depressiven Erkrankung

Die Ursachen für die krankhaften Stimmungsstörungen sind vielfältig. Folgende Faktoren können u. a. dafür ursächlich sein:

  • Genetische Disposition (Vererbung): Mehrere fehlerhafte Gene können bei dieser Krankheit zusammenspielen. Dafür spricht auch die familiäre Häufung der Erkrankung. Zwillings-, Familien- und Adoptivstudien haben ergeben, dass beispielsweise Kinder, bei denen ein Elternteil unter der bipolaren Störung leidet, ein Erkrankungsrisiko von ca. 24 % haben. Sind beide Elternteile erkrankt, so liegt das Risiko bei ca. 54 %. Ist ein eineiiger Zwilling betroffen, so liegt das Erkrankungsrisiko für den anderen Zwilling bei 72 %, bei zweieiigen Zwillingen nur bei 14 %.
  • Umweltbedingungen: Letztendlich nicht gesichert ist die Hypothese, dass auch veränderte Umweltbedingungen, wie Reizüberflutung, Leistungsdruck oder gar veränderte Essgewohnheiten, die Erkrankung beeinflussen können.
  • Fehlgesteuerte Nervenbotenstoffe: Diese natürlichen Substanzen sind im Gehirn Signalüberträger und werden auch Neurotransmitter genannt. Zu ihnen zählen Acetylcholin, Noradrenalin, Serotonin, Dopamin, Glutamat, GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) und verschiedene Neuropeptide. Wird auch nur einer dieser Botenstoffe in falschen Mengen produziert oder ist die Aufnahme an einigen Stellen gestört, gerät das Stimmungsgleichgewicht aus den Fugen. Es kann zu Gedächtnislücken, epileptischen Anfällen oder eben bipolaren Erkrankungen kommen. Die einzelnen Transmitter wirken erregend oder hemmend und sind an der Steuerung unseres Verhaltens und Befindens beteiligt. Entscheidenden Einfluss auf unser emotionales Verhalten und Denken scheinen Dopamin, Noradrenalin oder Adrenalin zu haben.
  • Nervenzellen: Auch Stoffwechselvorgänge in Nervenzellen können eine bipolare Störung mitverursachen. Entscheidend für ihr „normales“ Funktionieren ist eine bestimmte Kalziumkonzentration im Zellinneren.
  • Stress: Bekannt ist, dass bestimmte Lebensumstände, wie beispielsweise ständige berufliche Überbelastung, eine plötzliche Entlastung – nach lang dauerndem körperlichen und seelischen Stress – oder auch ein vordergründig positiv erscheinendes Ereignis, der ersten Krankheitsepisode vorausgehen. Später spielt Stress als Auslöser keine so große Rolle mehr.

Manie Symptome

Bei einer bipolaren Störung treten unterschiedliche Krankheitsepisoden auf, die sich phasenweise abwechseln können. Dazu zählen Manie, Hypomanie, Depression, Mischzustände und Rapid Cycling. Je nachdem in welcher Ausprägung oder zeitlichen Abfolge diese Krankheitsepisoden vorkommen, unterscheidet man verschiedene Krankheitsbilder, wie Bipolar I, Bipolar II und Zyklothymie.

Mögliche Symptome einer Manie:

  • unangemessene gehobene, euphorische Stimmung, die aber auch gereizt oder aggressiv sein kann;
  • erhöhte Ablenkbarkeit (vom Hundertsten ins Tausende kommen); Begonnenes kann nicht vollendet werden;
  • ungebremster Bewegungsdrang oft in Verbindung mit Rede-, Reise- und Schreibdrang, häufig ständiges Telefonieren;
  • bisweilen enthemmt (Prahlereien, unpassende Vertraulichkeiten);
  • vermindertes Schlafbedürfnis und reduzierter Appetit;
  • verstärkter Sexualtrieb;
  • eingeschränktes Urteilsvermögen,
  • im Extremfall Größenwahn und Halluzinationen;

Hypomanie

Die Symptome der Manie treten in abgeschwächter Form auf. Selten kommt es – im Gegensatz zur Manie – zu folgenschweren Aktionen, wie hoher Verschuldung oder Kaufexzesse. Gefährlich ist, dass sich die Betroffenen nicht krank fühlen und nicht den Arzt aufsuchen. In jedem 10. Erkrankungsfall ist die Hypomanie der Ausgangspunkt für eine Manie mit nachfolgender Depression.

Mögliche Symptome einer Depression

  • anhaltende Tiefstimmung, Verlust des Interesses an bisher geschätzten Aktivitäten;
  • Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme;
  • Langsamkeit, Energieverlust, Hemmung oder Unruhe;
  • Gefühle der Wertlosigkeit oder unangemessener Schuld;
  • Gefühl, nie mehr aus dieser schlechten Stimmung herauszukommen;
  • Denk- und Konzentrationsschwierigkeiten sowie Entscheidungsunfähigkeit;
  • Angstgefühle und ängstliche Stimmung, Suizidgedanken;
  • Schlafstörungen;
  • verlangsamte Sprache;
  • verminderter Sexualtrieb;
  • Verstärkung bereits bestehender gesundheitlicher Probleme (bsp. Rücken- oder Kopfschmerz).

Mischzustände

Bei bipolaren Mischzuständen sind sowohl manische als auch depressive Krankheitsmerkmale vorhanden. So können die Patienten sehr schnell sprechen und denken, wie es für eine manische Phase typisch ist, gleichzeitig haben sie aber auch Selbstmordgedanken und leiden unter einer gedrückten Stimmung. Alltagsfunktionen, zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Aktivitäten sind in einer solchen Krankheitsphase deutlich beeinträchtigt. Insgesamt leiden ungefähr 30 % aller bipolar Erkrankten unter solchen Mischzuständen.

Rapid Cycling

Besonders belastend für den Betroffenen und seine Angehörigen ist der sogenannte schnelle Phasenwechsel (engl.: rapid cycling syndrome). Laut Definition besteht dieses Krankheitsbild bereits, wenn innerhalb eines Jahres vier depressive oder manische Phasen auftreten, deren Reihenfolge und Kombination beliebig sein können. Im Extremfall ist der Betroffene morgens depressiv, abends (hypo-)manisch oder umgekehrt. Die Patienten werden häufig im Krankenhaus behandelt und brauchen eine spezielle Therapie.

Krankheitsbilder

Bei bipolaren Erkrankungen werden drei Stimmungslagen unterschieden, die in ungleichmäßigen Zeitabständen auftreten:

  • Manien (Hochphasen)
  • Depressionen (Tiefphasen)
  • Normalphasen (es liegen keine Beschwerden vor).

Bei dem Typ Bipolar I gibt es mindestens zwei Wochen lang eine gehobene Stimmungslage, welche die Kriterien der Manie erfüllt. Zudem hat der Betroffene für gewöhnlich eine Depression erlebt. Dies muss aber nicht sein.

Bei dem Typ Bipolar II ist die Hochstimmung nicht so ausgeprägt (Hypomanie). Sie tritt meist nach einer Depression auf.

Die sogenannte Zyklothymie ist eine abgeschwächte Form der bipolaren Erkrankung. Es kommt zu keiner ausgeprägten Depression oder Manie, vielmehr schwankt die Gefühlsstimmung ständig zwischen leicht gedrückt und gehoben.

Diagnose

Die Diagnose wird – meist von einem Psychotherapeuten – nach einem ausführlichen Gespräch über die bestehenden Krankheitszeichen, ihre Dauer und Ausprägung gestellt. Die Krankheitssymptome werden oft mit Fragebögen erfasst. Es gibt auch Interviewleitfäden für das Arzt-Patienten-Gespräch. Entscheidend ist auch, dass die verschiedenen Stimmungslagen den beruflichen und sozialen Alltag massiv negativ beeinflussen. Meist suchen die Patienten in einer depressiven Phase Hilfe bei einem Arzt. Daher wird meist zunächst eine „Depression“ diagnostiziert. Erst im Verlauf der Erkrankung oder durch die Befragung von Verwandten oder nahen Bekannten treten auch die manischen Anteile der Erkrankung zutage.

Behandlung

Manisch-depressive Erkrankungen kommen meist immer wieder, verlaufen also chronisch. Die Behandlung umfasst mehrere Behandlungsschritte (Akut- und Erhaltungstherapie sowie Rückfallprophylaxe). Um die extremen Stimmungsschwankungen auszugleichen, müssen die Betroffenen oft über Jahre hinweg mit Medikamenten behandelt werden. Gerade in manischen Phasen, in denen sich die Betroffenen nicht krank fühlen, fehlt die Behandlungseinsicht. Ein eigenwilliges Absetzen der Medikamente in diesen Stimmungsphasen provoziert oft Krankheitsrückfälle.

Welche Mittel zum Einsatz kommen, ist von der Form und Ausprägung der bipolaren Störung abhängig. Antidepressiva werden beispielsweise meist nur kurz verabreicht und ihrer Wirkung auf die Stimmung genau beobachtet. Beim ersten Anzeichen eines Stimmungsumschwungs werden sie abgesetzt, da sie leicht eine manische Phase auslösen können.

Stimmungsstabilisierende Medikamente wirken entweder einer manischen Stimmungslage oder einer Depression entgegen. Man unterscheidet zwei Typen: Typ A steht für „above“ (darüber -> also in manischen Phasen) und Typ B für „below“ (darunter -> depressive Phasen). Zum Typ A zählen Lithium, Carbamazepin und Valproinsäure, zum Typ B rechnet man Lamotrigin und Lithium. Die Medikamente machen nicht körperlich oder psychisch abhängig, können aber manchmal belastende Nebenwirkungen haben. Für eine genaue und optimal wirksame Dosiseinstellung ist ein guter Arzt-Patienten-Kontakt wichtig.

Menschen, die stimmungsstabilisierende Medikamente einnehmen, wird zudem empfohlen, eine Psychotherapie zu machen. Dabei kann beispielsweise erarbeitet werden, welche Verhaltens- und Denkmuster einen Stimmungsumschwung einleiten und wie man ihm durch entsprechende Verhaltensweisen begegnen kann. Ebenso kann es sinnvoll sein, den Ehepartner oder Angehörige in die Behandlung mit einzubeziehen, damit sie die Krankheit besser verstehen und mit ihr umzugehen lernen.

Auch die Lichttherapie wird zur Behandlung der manisch-depressiven Krankheit eingesetzt, vor allem bei leichteren oder jahreszeitlich bedingten Depressionen (Herbst-Winter-Depression und Frühjahr-Sommer-Hypomanie).

med. Redaktion Dr. med. Werner Kellner
Aktualisierung 20.04.2008